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Mit einem Festakt wird am 13. Januar die Einführung der Pflegeversicherung vor 20 Jahren gefeiert. Unter Kritikern gilt diese jedoch nicht als reines Erfolgsmodell ohne Schattenseiten. Dies wird durch Zahlen des Statistischen Bundesamtes bestätigt. Diese zeigen: Die Pflegeversicherung kann nicht alle Kosten im System auffangen, immer mehr Pflegebedürftige erhalten stattdessen Hilfe zur Pflege nach SGB XII. Im Jahr 1994 wurde die Soziale Pflegeversicherung (SPV) durch den Bundestag als die fünfte Säule der Sozialversicherung verabschiedet. Die Pflegeversicherung trat anschließend in einem zweistufigen Verfahren in Kraft: In der ersten Stufe ab dem 1. April 1995 wurden die Leistungen für ambulante und teilstationäre Pflege übernommen, in einer zweiten Stufe ab Juli 1996 wurden die Leistungen auf Altenheim- und Pflegeheimbewohner ausgeweitet. Zuvor waren vier Fünftel der stationär untergebrachten Pflegebedürftigen auf Leistungen aus der subsidiären Sozialhilfe angewiesen. Dadurch stieg die Belastung der Sozialhilfeträger, also der Kommunen. Durch die SPV sollten diese entlastet werden.

Ein Gutachten im Auftrag der Abteilung Wirtschafts- und Sozialpolitik der Friedrich-Ebert-Stiftung bewertet die Gesetzliche Pflegeversicherung nun aus sozialpolitischer Sicht. Laut Studienautor Gerhard Naegele könne die eingeführte Pflegeversicherung vorwiegend als Erfolgsmodell bezeichnet werden, da das Pflegebedürftigkeitsrisiko in ein eigenständiges Leistungssystem überführt werden konnte. Pflegebedürftigkeit habe als eigenständiges soziales, nicht privat abzusicherndes Risiko die erforderliche öffentliche Anerkennung gefunden. Auch der zuvor niedrige Stellenwert der Pflege sei gestärkt worden, es habe eine institutionelle Aufwertung der professionellen, weiblich geprägten Pflegearbeit stattgefunden. Allerdings existieren auch Schattenseiten. Kritisiert wurde die Verteilung der Zahllast. Der Arbeitgeberbeitrag wurde durch die Abschaffung des stets auf einen Werktag fallenden Buß- und Bettages voll kompensiert. Dies stelle einen eklatanten Verstoß gegen die reine Sozialversicherungslehre dar, nach der die Beiträge paritätisch von Arbeitgebern und Arbeitnehmern getragen werden solle. Auch die Besserstellung von Familien, nach der kinderlose gesetzlich Versicherte im Alter von 23 bis 65 Jahren einen Zuschlag von 0,25 Prozent zur Pflegeversicherung zahlen müssen, sehen viele mit gemischten Gefühlen. Auch die Finanzlage der Pflegekassen ist trotz Beitragserhöhungen unzureichend. Nur bis zur Jahrtausendwende konnten in der Pflegeversicherung Einnahmeüberschüsse erwirtschaftet werden, seit 2001 wurden dagegen nahezu alle Jahre aufgrund der Ausgabenentwicklung mit einem Defizit abgeschlossen. Gründe für die steigenden Ausgaben liegen im demografisch bedingten Anstieg der Zahl der Leistungsempfänger, der wachsenden Inanspruchnahme professioneller Pflegehilfen sowie insbesondere die gestiegenen Kosten für die stationäre Pflege.

Aktuelle Zahlen des Statistischen Bundesamts zeigen darüber hinaus, dass die Leistungen der Pflegeversicherung auch auf Empfängerseite häufig nicht ausreichen. Die Zahl der Pflegebedürftigen, die darüber hinaus Hilfe zur Pflege in Anspruch nehmen müssen, steigt seit Jahren. Der höchste Stand wurde 1995 im Jahr der Einführung der SPV mit insgesamt 372.828 Empfängern erreicht. Der niedrigste Stand konnte im Jahr 1998 mit 222.231 Empfängern verzeichnet werden. Die Zahl von Hilfeempfängern in Pflegeheimen ist über die Jahre hinweg deutlich höher als die Zahl der Hilfeempfänger außerhalb con Einrichtungen. Dies verdeutlicht die wichtige wirtschaftliche Bedeutung von ambulanter Pflege und Pflege durch Angehörige. Auffällig ist, das Frauen wesentlich häufiger Hilfe zur Pflege erhalten. Dies liegt unter anderem in  ihrer höheren Lebenserwartung begründet. Durch die Pflegereform und die Einrichtung eines Pflegevorsorgefonds soll die Situation von Pflegebedürftigen verbessert und werden. Dadurch steigt allerdings auch die Beitragsbelastung für die Versicherten. Es ist dennoch fraglich, ob die Kosten im Pflegesystem zuindest annähernd durch die Mittel gedeckt werden können, oder ob weiterhin in hohem Umfang Hilfe zur Pflege durch den Staat geleistet werden muss. In den kommenden Jahren wird die Statistik zeigen, ob die Pflegereform ausreichend war, um die Mammutaufgabe der Versorgung einer alternden Gesellschaft gerecht zu werden.