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Das Niveau der medizinischen Versorgung in Deutschland genießt auch international hohes Ansehen. Viele Patienten aus dem Ausland reisen eigens dafür nach Deutschland, um sich hier medizinisch behandeln zu lassen, Tendenz steigend. Ihre Beweggründe sind vielfältig. Dem Gesundheitswesen beschert dies zusätzliche Einnahmen in Milliardenhöhe, das Geschäft mit der Gesundheit hat aber durchaus auch seine Schattenseiten.

Buhlen um zahlungskräftige Patienten

Eine einheitliche Definition für den eher umgangssprachlichen Begriff Medizintourismus existiert bislang nicht, er grenzt sich jedoch deutlich von Kur- und Wellnesstourismus ab. Im Mittelpunkt steht die stationäre oder ambulante Behandlung eines vorhandenen Leidens. Medizintourismus ist ein Phänomen der fortschreitenden Globalisierung. Patienten haben heute mehr denn je die Möglichkeit, weltweit nach dem besten Behandlungsangebot zu suchen und sich anschließend außerhalb ihres Heimatlandes behandeln zu lassen. Einzige Voraussetzung: Ihre Krankenversicherung (falls vorhanden) übernimmt die Kosten, oder sie sind in der Lage, die Behandlung selbst zu bezahlen. Daher verwundert es nicht, dass die so genannten Medizintouristen vornehmlich aus sehr wohlhabenden Ländern wie den arabischen Staaten und Russland nach Deutschland strömen. Neben Deutschland werben rund 40 andere Länder um die zahlungskräftigen Patienten. Diese profitieren wiederum von den vergleichsweise niedrigen Kosten der Behandlungen. Ein weiterer Grund für eine Behandlung außerhalb des Heimatlandes sind fehlende Angebote des eigenen Gesundheitssystems.

Im Jahr 2013 ließen sich nach Erhebungen der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg rund 241.000 ausländische Patienten stationär oder ambulant in Deutschland behandeln. Gegenüber dem Vorjahr sind die Patientenzahlen damit um 7,7 Prozent gestiegen. Dies spülte fast 1,2 Mrd. Euro zusätzlich ins deutsche Gesundheitssystem. Als wichtigster Quellmarkt gilt Russland mit etwa 11.000 stationären und 16.000 ambulanten Patienten. Mit einem Plus von 28,5 Prozent hat die Nachfrage nach deutscher Medizin dort so stark zugenommen, dass aus Russland mittlerweile so viele Patienten kommen wie aus allen arabischen Staaten zusammen. Die Forscher vermuten, dass dieser Trend allerdings in den kommenden Jahren aufgrund politischer und finanzieller Ursachen abnehmen wird. Viele Russen haben derzeit aufgrund des Ukraine-Konflikts eine negative Meinung über die EU, die Patientenströme dürften daher zukünftig eher in Richtung Türkei, Israel und Südostasien tendieren. Unter den Medizintouristen finden sich auch viele Amerikaner ohne Krankenversicherung, die sich eine Behandlung in den USA nicht leisten können. Behandlungen in Deutschland sind für sie vergleichsweise günstiger.

Zwei-Klassen-Medizin – Wohlhabende Selbstzahler vs. Kassenpatienten

Ein Beispiel für boomenden Medizintourismus ist die Stadt Heidelberg. Nicht nur die Universität, auch die zahlreichen Kliniken sind international bekannt und angesehen. Insbesondere der Bereich Onkologie gilt als eine der weltweit besten Einrichtungen. Die Kliniken selbst werben aktiv um Patienten aus dem Ausland, eigens hierfür gründete beispielsweise die Universitätsklinik das International Office, bei dem Interessenten direkt eine Behandlungsanfrage stellen können. Auch die freie Wirtschaft hat den Medizintourismus als lukrative Einkommensquelle für sich entdeckt. So bieten spezielle Agenturen Patienten aus dem Ausland die gesamte Organisation ihres Aufenthaltes an. Sie zielen mit ihren Angeboten meist auf zahlungskräftige Medizintouristen aus den arabischen Ländern oder Russland ab. Die Leistungen reichen von der Flugbuchung über die Terminorganisation bis hin zur Vermittlung von Dolmetschern. Der Markt ist stark von Wettbewerb geprägt.

Die Kehrseite des Medizintourismus zeigt sich auf vielgestaltige Art. Ein besonderes Problem stellt, nicht nur in Schwellenländern wie Indien, der illegale Organhandel dar. Derartige Fälle wurden auch bereits in Deutschland verfolgt. So ermittelte im Jahr 2012 die Staatsanwaltschaft Braunschweig gegen einen Arzt des Göttinger Uniklinikums, der unter Verdacht stand, gegen Geldzahlung einen ausländischen Patienten bei einer anstehenden Transplantation bevorzugt behandelt und diesem so zu einer neuen Leber verholfen zu haben. Auch wenn derartige Fälle in Deutschland eher Ausnahme als die Regel sein dürften, kann nicht von der Hand gewiesen werden, dass das Geschäft mit wohlhabenden, privat zahlenden Patienten aus dem Ausland Auswirkungen auf die Gesundheitsversorgung in Deutschland haben kann. So könnte es durchaus passieren, dass Medizintouristen bevorzugt behandelt werden, während einheimische Patienten lange Wartezeiten in Kauf nehmen müssen. Ein weiteres Risiko stellen Kliniken dar, die sich neben ihrem regulären Versorgungsauftrag zu stark auf die Einkünfte von ausländischen Patienten verlassen und im Ernstfall, bei Zahlungsausfällen, finanziell schnell mit dem Rücken zur Wand stehen. Insgesamt sollte ein einheitlicher Weg gefunden werden, sowohl ausländische als auch einheimische Patienten auf gleich hohem Niveau versorgen zu können.