Der Hörsinn zählt zu den wichtigsten unserer Sinne. Er ist ohne Pause im Einsatz und lässt uns Gefahren erkennen und mit unserer Umwelt kommunizieren. So wichtig unser Gehörsinn ist, so empfindlich ist er auch. Lärm, Verletzungen oder Erkrankungen können das Gehör schädigen. Außerdem nimmt die Hörfähigkeit mit zunehmenden Alter ab, aber auch von Geburt an kann sie beeinträchtigt sein. Hörschädigungen können mit Hilfe von Hörgeräten gemindert und sogar weitestgehend behoben werden.
Die herkömmlichen Hörgeräte, die man im Alltag häufig sieht, können Schwerhörigkeit bis zu einem gewissen Grad ausgleichen. Sie verstärken die Schallwellen und leiten sie an das Trommelfell weiter, so dass Geräusche, Töne und Sprache lauter wahrgenommen werden. Sie werden besonders bei altersbedingten Hörschäden eingesetzt. Sie versagen allerdings, wenn beispielsweise aufgrund zerstörter Haarzellen im Ohr eine starke Hörschädigung bis hin zu Taubheit vorliegt, bei der eine Schallverstärkung nicht mehr ausreicht. Mit speziellen Hörprothesen kann aber auch in so schwierigen Fällen eine wesentliche Besserung oder Wiederherstellung der Hörfähigkeit erzielt werden. In diesen Fällen kommen so genannte Cochlea-Implantate zum Einsatz, bei denen Elektroden in die Hörschnecke eingeführt werden. Diese leiten Signale über Ströme an die Cochlea (Hörschnecke) weiter, die ihrerseits den Hörnerv reizt. Das Hörempfinden ist bei dieser Versorgung teils anders als bei Normalhörenden, kann aber durch ein Hörtraining so weit trainiert werden, dass Sprachverstehen möglich ist.
Das Innenohr überbrücken
Bei Menschen, die über keinen (funktionierenden) Hörnerv oder ein Innenohr verfügen, kann aber auch ein Cochlea-Implantat das Hörvermögen nicht mehr herstellen. Bislang waren sie daher auf Gebärdensprache und Lippenlesen angewiesen, um mit ihrer Umwelt kommunizieren zu können. Eine Weiterentwicklung des Cochlea-Implantats stellt für viele einen Hoffnungsschimmer dar. Auditorische Hirnstammimplantate (Auditory Brainstem Implant – ABI) sind in ihrem Aufbau dem Cochlea-Implantat sehr ähnlich, die Elektroden werden allerdings nicht an der Hörschnecke, sondern eine Schaltstelle höher am Nucleus Cochlearis (Schneckenkern) platziert, wo der Hörnerv eigentlich in den Hirnstamm mündet. ABI überbrücken damit das gesamte Innenohr. Die Elektroden leiten Signale über den Schneckenkern direkt an den Hirnstamm weiter, so kann der Implantatträger ein Spektrum verschiedener Töne wahrnehmen. Auch hier ist ein intensives Hörtraining notwendig, um das Hören und Sprachverstehen zu erlernen. Dennoch bleibt der Höreindruck deutlich hinter dem durch ein Cochlea-Implantat erreichbaren zurück.
Die Operation ist kompliziert und wird nur in hochspezialisierten Zentren durchgeführt. Weltweit wurden bislang nur einige hundert Patienten mit einem ABI versorgt. Bislang mussten sie dafür ein Mindestalter erreicht haben, da die Behandlungsmethode in vielen Ländern nur für Erwachsene und Jugendliche zugelassen war. Doch inzwischen behandeln die Operateure auch Kinder. Jüngst wurde in den USA einem sechsjährigen Mädchen, das von Geburt an gehörlos war, ein ABI implantiert. In Deutschland wurde 2014 einem elfjährigen Jungen, der ohne Hörorgane zur Welt gekommen ist, ein ABI eingesetzt. Gerade Kinder können von einer frühzeitigen Versorgung mit einem ABI in ihrer auditiven und sozialen Entwicklung profitieren, besonders wenn der Eingriff vor oder während des Spracherwerbs durchgeführt wird.
Kein Nutzen ohne Risiko
Die Versorgung mit einem ABI birgt allerdings Risiken. Es handelt es sich bei der Implantation um eine komplizierte neurochirurgische Operation, bei falscher Platzierung der Elektroden kann es zu einer Reizung von Gesichtsnerven kommen, so dass ein Kribbeln bis hin zu unwillkürlichen Muskelzuckungen auftreten kann. Abgesehen davon handelt es sich um einen großen, teuren Eingriff. Die Kosten dürften sich noch deutlich über denen einer Implantation eines Cochlea-Implantats bewegen, die mit ca. 40.000 Euro veranschlagt wird. Die Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) erstatten diese Kosten, sowie Folgekosten durch Batterien, Untersuchungen, Rehabilitation etc.
Trotz der niedrigen Fallzahlen ist zu erwarten, dass die Forschung auf dem Gebiet der ABI in den nächsten Jahren deutliche Fortschritte erzielen wird, so dass in Zukunft vermutlich mehr Hörgeschädigte von Hirnstammimplantaten profitieren können.