Zu Zeiten der Serie „Der Sechs-Millionen-Dollar-Mann“ war es noch Science Fiction, inzwischen haben bionische Prothesen aber den Sprung in die medizinische Realität geschafft: Kürzlich ging ein Raunen durch die Medien, als Forscher in Wien die weltweit erste fühlende Beinprothese präsentierten. Diese verfüge über einen künstlichen Tastsinn, der dem Träger über Sensoren in der Fußsohle das Gefühl der verlorenen Gliedmaßen wiedergeben soll. So könnten verschiedene Untergründe wie Sand, Beton oder Gras wieder unterschieden werden. Selbst kleine Kiesel seien spürbar, wie der Träger des Prototyps berichtete.
Das hochaktuelle Themengebiet „Biologisierung der Medizintechnik“ hat ein hohes wirtschaftliches und medizinisches Potenzial und wird die Zukunft der Medizintechnik maßgeblich mitprägen.
Noch einmal mit Gefühl
Der Bereich der Prothesen ist ein guter Indikator dafür, wie weit fortgeschritten die Medizintechnik inzwischen ist. Bionische Prothesen ersetzen ein verlorenes Gliedmaß nicht nur in seiner Form, sondern auch in der Funktionalität. Der Verlust eines Beins bedeutete vor wenigen Jahrzehnten noch eine lebenslange Abhängigkeit von Gehhilfen oder Rollstuhl, heute ist mit Hightech-Prothesen ein ganz normaler Alltag möglich.
Im konkreten Fall in Wien wurden einer Testperson, der nach einem Schlaganfall das Bein unterhalb des Knies amputiert werden musste, Nervenenden aus dem Beinstumpf mit gesundem Gewebe aus dem Oberschenkel verknüpft. Diese waren vorher mit der Fußsohle verbunden. Anschließend erhielt die Testperson eine Prothese, an deren Ende sechs Sensoren in der künstlichen Fußsohle Informationen über den Untergrund sammeln und an sogenannte Stimulatoren im Schaft der Prothese an den Träger vermitteln. So kann nicht nur das Sturzrisiko verringert, sondern sogar ein eventuell bestehender Phantomschmerz therapiert werden.
Auch der isländische Prothesenhersteller Össur testet aktuell eine Beinprothese, die der Träger mit Gedanken steuern kann. Möglich machen soll dies ein im Oberschenkelmuskel implantierter Sensor, der die Reizweiterleitung von den Beinmuskeln und -nerven an einen Receiver in der Beinprothese übernimmt. Das Besondere: Der Träger muss dafür nicht einmal bewusst an die Bewegung denken, sondern der Prozess funktioniert intuitiv und unterbewusst, fast so, wie mit einem „richtigen“ Bein. Die Entwicklung verläuft buchstäblich in großen Schritten dahingehend, dass Prothesen zu einem vollwertigen Körperteil werden. Häufig sind die modernen Prothesen sogar so leistungsfähig, dass sie nicht nur die natürliche Funktion perfekt imitieren, sondern sogar die Leistungsfähigkeit des Trägers erhöhen können.
Die Bewegung denken
Auch die Funktion und Bewegungsfreiheit von Armprothesen ist durch Bionisierung erstaunlich weit fortgeschritten. Durch eine Verschaltung von Prothese und den vorhandenen Nerven im Arm ist es Forschern gelungen, den Trägern eine Art „Fingerspitzengefühl“ wiederzugeben. Somit kann beispielsweise unterschieden werden, ob man gerade Watte oder Sandpapier berührt. Auch die Feinmotorik konnte erheblich verbessert werden, so dass es sogar möglich ist, mit zwei Fingern eine Weintraube von einer Rispe zu pflücken, ohne die Traube zu zerquetschen. Ein weiterer Prototyp zeigt, dass eine Prothese wirklich zu einem vollwertigen Teil des eigenen Körpers werden kann: Schwedische Forscher entwickelten eine Armprothese, die im Oberarmknochen verankert und mit Muskeln und Nerven verbunden wird. Auch diese soll mit Gedanken steuerbar sein.
Bionisierung verbessert damit die Therapiemöglichkeiten für Menschen mit fehlenden Gliedmaßen ungemein. Fast jeder Körperteil ist inzwischen ersetzbar. Damit ist ein fast komplett uneingeschränkter Alltag möglich, bis hin zu Hochleistungssport, was alle Jahre wieder während der Paralympics eindrucksvoll bewiesen wird. Die Voraussetzung: Ein Kostenträger, der die mehrere zehntausend Euro teuren Prothesen finanziert, oder ein eigenes ausreichendes Finanzpolster. Auch ethische Bedenken liegen in dieser Hinsicht nicht allzu fern, wenn man sich vorstellt, dass Menschen mit dem nötigen Kleingeld die Möglichkeit haben, den eigenen Körper zu „tunen“, dabei handelt es sich aber, zum Glück, immer noch um Science Fiction.