Viele haben es beschworen, aber vermutlich hat niemand damit gerechnet, dass es doch so flott geht: Die erste Krankenkasse in Deutschland erhöht den einkommensabhängigen Zusatzbeitrag, und das schon zum 1. Juli. Wie „Krankenkassen-direkt.de“ am 17. Juni mitteilte, wird bei der IKK Nord der Zusatzbeitrag um 0,4 Prozent auf dann 1,3 Prozent steigen. Der Beitragssatz betrage dann insgesamt 15,9 Prozent. Dies sei der bislang höchste Beitragssatz im deutschen Kassenvergleich.
Früher als von Experten prognostiziert
Die IKK Nord ist für die Bundesländer Bremen, Mecklenburg-Vorpommern und Schleswig-Holstein geöffnet. Die rund 180.000 Mitglieder können aufgrund der Beitragsanhebung von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. „Krankenkassen-direkt.de“ rechnet vor, dass die Beitragsanhebung je Mitglied mit Mehrkosten von bis zu 198 Euro pro Jahr zu Buche schlagen könne. Zwischen der günstigsten Kasse und der IKK Nord wird der Unterschied sogar mehrere Hundert Euro betragen. So könne die IKK Nord bis zu 445,50 Euro mehr kosten. Durch einen Wechsel könnten Versicherte somit bis zu 37 Euro pro Monat sparen.
Verschiedene Experten haben vielfach darauf hingewiesen, dass der allgemeine Beitragssatz nicht ausreichen werde, um die Kosten der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu decken. Daher seien Zusatzbeiträge unvermeidlich, die langfristig steigen werden. So zeigte sich der GKV-Spitzenverband davon überzeugt, dass die Kassenbeiträge ab 2016 steigen werden. Vorstandsvorsitzende Dr. Doris Pfeiffer sagte für das Jahr 2019 durchschnittliche Zusatzbeiträge in Höhe von 1,4 bis 1,8 Prozent voraus. Eine Marke, an der die IKK Nord nun bereits kratzt. Die Techniker Krankenkasse wiederum schätzt auf Grundlage eigener Modellrechnungen die durchschnittliche Beitragsbelastung schon im Jahr 2017 auf über 16 Prozent.
Die einkommensabhängigen Zusatzbeiträge wurden zum 1. Januar dieses Jahres eingeführt. Der allgemeine Beitragssatz zur Krankenversicherung beträgt seither 14,6 Prozent. Der Zusatzbeitrag ist allein vom Versicherten zu tragen, der Arbeitgeber zahlt lediglich den gesetzlichen Anteil von 7,3 Prozent. Dieser Satz ist vom Gesetzgeber eingefroren. Zukünftige Beitragserhöhungen werden damit allein von den Arbeitnehmern geschultert, was von Gewerkschaften und auch von ausgewiesenen Gesundheitsexperten heftig kritisiert wird. Grüne und Linke sehen damit das Sozialwesen in Deutschland in Gefahr. Die Versicherten sorgten über die Zusatzbeiträge der Krankenkassen dafür, dass die Bundesregierung das Ziel, keine neuen Schulden für den Bundeshaushalt aufzunehmen, ein Jahr früher erreicht hat als geplant. Inzwischen wurde die Forderung laut, die Festlegung des Arbeitgeberbeitrags rückgängig zu machen. Dies stieß selbst bei den Arbeitgebern nicht auf taube Ohren: Der Anteil der Arbeitgeber von 7,3 Prozent müsse nicht auf Dauer eingefroren bleiben, meinte Volker Hansen, Vertreter der Arbeitgeberseite im Verwaltungsrat des GKV-Spitzenverbandes
Nur die stärksten bestehen im Wettbewerb
Ein großer Teil der Krankenkassen erhebt derzeit einen Beitragssatz von 0,8 Prozent, so dass die Versicherten pro Monat geringfügig niedrigere Beiträge an ihre Krankenkasse zahlen müssen als noch im letzten Jahr. Einige Kassen wie die Metzinger BKK sehen bislang sogar komplett von Zusatzbeiträgen ab. Wie es scheint, wird es sich dabei allerdings keinesfalls um einen Dauerzustand handeln. Vielmehr dürften Kassen aus Wettbewerbsgründen steigende Ausgaben zunächst aus eigenen Finanzreserven stemmen, um ein Abwandern von Mitgliedern zu vermeiden. Einige wenige Kassen erhoben dagegen bereits direkt zu Beginn des Jahres weitaus höhere Zusatzbeiträge. Dazu zählen die IKK Südwest (1,2 Prozent), die BKK Braun-Gillette (1,2 Prozent) sowie die Brandenburgische BKK mit sogar 1,3 Prozent. Diese liegt ab Juli gemeinsam mit der IKK Nord an der Spitze, was Beitragssätze anbelangt. Die Unterschiede sind gesundheitspolitisch durchaus gewollt. So soll der Wettbewerb zwischen den gesetzlichen Kassen angekurbelt werden.
Es bleibt abzuwarten, wie viele der Kunden der IKK Nord von ihrem Sonderkündigungsrecht Gebrauch machen. Eine Studie zeigte jüngst, dass die neuen Zusatzbeiträge, zuindest bis jetzt, für die wenigsten einen Wechselgrund darstellen. Besonders ältere Versicherte bleiben ihrer Kasse meist dauerhaft treu. Zudem stellte sich heraus, dass viele Versicherte trotz Informationspflicht der Kassen überhaupt nicht wissen, wie hoch der erhobene Zusatzbeitrag ihrer Kasse ist.
Jetzt, wo die erste Kasse den Schritt einer ersten Erhöhung der Zusatzbeiträge gegangen ist, werden weitere folgen. Kleine Kassen mit einer ungünstigen Mitgliederstruktur werden als erste gezwungen sein, den Zusatzbeitrag anzuheben. Wandern dadurch Kunden ab, wird sich die Finanzsituation weiter verschärfen. Langfristig werden Fusionen oder gar Schließungen von Kassen die Folge sein, wodurch sich die Kassenlandschaft in Deutschland deutlich straffen wird. Derzeit gibt es noch 124 Kassen in Deutschland. Ende 2014 waren es noch 130. Bislang profitierten besonders die TK sowie kleinere Kassen mit niedrigen Zusatzbeiträgen davon. Die TK konnte dabei von allen Kassen im ersten Quartal 2015 mit 87.933 neuen Versicherten den größten Mitgliederzuwachs verzeichnen.