Google ist weit mehr als die Suchmaschine mit den bunten Buchstaben. Das Unternehmen, das vor einigen Tagen die Umwandlung in die Holding „Alphabet“ bekanntgab, will schon lange mehr, als Suchergebnisse liefern und Anzeigen verkaufen: Krankheiten vorhersagen und Therapien für bisher unbekannte Krankheiten entwickeln, nicht weniger als das hat sich Google zum Ziel gesetzt. Mit dem eigenen Forschungslabor Google Life Sciences und der vor einem Jahr angekündigten Baseline Study soll das gelingen.
Was macht Gesundheit aus?
Dafür macht Google das, was es am besten kann: Daten sammeln. Zunächst von 175 Testpersonen, der Kreis der Teilnehmer soll aber schon bald deutlich erweitert werden. Die freiwilligen Probanden stellen ständig medizinische und körperliche Daten zur Verfügung und werden regelmäßig auf Herz und Nieren getestet. In die Datenmenge fließen nicht nur das sequenzierte Erbgut ein, sondern auch die Ergebnisse aus Blut-, Urin- und Stuhlproben, zusätzlich Werte wie Blutdruck, Puls und der allgemeine Gesundheitszustand. So genau hat bisher noch niemand den menschlichen Körper durchleuchtet. Es wird untersucht, wie der Körper auf Anstrengung reagiert und wie Nahrung verwertet wird. Zusammengesetzt soll aus den Daten, gemeinsam mit der Krankengeschichte, ein Bild dessen abgelesen werden können, was gesund sein eigentlich heißt und welche Abweichungen zu Krankheiten führen. So sollen Abweichungen schneller festgestellt und Krankheiten damit schneller erkannt werden können. Dafür wird nach dem Prinzip des Data Minings nach Mustern in dem riesigen Datensatz gesucht. Die Daten werden dafür von mehreren Universitäten anonymisiert, ausgewertet und erst dann dem Google-Forschungslabor zur Verfügung gestellt.
Zwischen Größenwahn und Science Fiction
Mit diesem „Moonshot“ -Projekt wird ein Trend im Gesundheitswesen deutlich: Prävention statt Behandlung. Google will nichts weiter, als das gesamte Gesundheitswesen umzukrempeln. Das Vorhaben, das sich in der Grauzone zwischen Größenwahn und Science Fiction bewegt, wirft wie nahezu jedes Google-Projekt Bedenken zum Datenschutz auf. Angenommen, es wäre in wenigen Jahren oder Jahrzehnten möglich, mittels einer Blutprobe oder DNA-Analyse zu erfahren, ob man in seinem Leben an Krebs oder Demenz erkranken wird, müssen wir uns die Frage stellen, ob wir das wollen. Durch eine Analyse gäben wir nicht nur unsere eigenen „Daten“ im Sinne von Genen, Werten etc. preis, es bestände ebenso das Risiko von falsch positiven Diagnosen. Beispiel Brustkrebs: Nach dem Beispiel von Angelina Jolie ließen sich zahlreiche Frauen auf die Krebs verursachenden Gene BRCA1 und BRCA2 untersuchen und sich bei dessen Vorliegen beide Brüste amputieren. Dabei wiesen Ärzte wiederholt darauf hin, dass eine Erkrankung bei Vorliegen der Gene zwar wahrscheinlicher, aber keinesfalls sicher sei. Es käme darauf an, ob die Gene auch „angeschaltet“ sind. Dennoch unterzogen sich die Frauen der großen Operation in der Hoffnung, dem Krebs so entgegenzuwirken. Wird es künftig also häufiger vorkommen, dass Operationen oder Behandlungen unternommen werden, obwohl die befürchtete Krankheit (noch) nicht vorliegt? Und profan gefragt: Wer zahlt dafür? Wird die prophylaktische Behandlung zur Kassenleistung oder müssen Patienten diese aus eigener Tasche bezahlen? Im ersteren Fall kämen wohl zusätzliche Kosten in Millionenhöhe auf das Gesundheitssystem zu, das auch so schon mehr ausgibt als es von Versicherten einnimmt.
Eine weitere Dystopie: Die Durchleuchtung durch Versicherungsunternehmen oder Arbeitgeber. Wer das Risiko in sich trägt, später zu erkranken, zahlt höhere Beiträge oder wird nicht eingestellt. Aber auch unabhängig davon sollte ein Recht auf Nichtwissen bewahrt werden, vor allem bei Krankheiten, für die es keine Heilung gibt. In jungem Alter zu wissen, dass man in wenigen Jahrzehnten unheilbar an Alzheimer erkranken wird, wäre sicherlich sehr belastend. So gesehen ist das Projekt Baseline ein schmaler Grat. Die Entwicklung neuer Behandlungsmöglichkeiten gegen Krankheiten wäre mehr als begrüßenswert. Der Verlust der Kontrolle über die eigenen Gesundheitsdaten wäre ein Alptraum.