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Krankenkassen gegen den morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) – eine unendliche Geschichte. Aktuell fordert der Bundesverband der Innungskrankenkassen (IKK e.V.) eine grundlegende Reform des umstrittenen Ausgleichssystems und reiht sich damit in eine lange Reihe von Kritikern ein. Der Verband kritisiert den Morbi-RSA als unausgewogen und dadurch wettbewerbsverzerrend.

Rote Zahlen bei fast allen Kassen

Die IKKen weisen laut Halbjahresergebnis der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zwar mit rund 1.272,89 Euro die geringsten Leistungsausgaben je Versichertem auf, dennoch erwirtschafteten sie ein Minus von 119. Mio Euro. Dieses resultiere nach Ansicht der Kasse vor allem aus unzureichenden Zuweisungen für Leistungsausgaben aus dem Gesundheitsfonds.

Fast alle Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) schreiben seit Jahren rote Zahlen. Einsame Ausnahmen bildeten bislang die AOKen, was postwendend Vorwürfe anderer Kassenarten nach sich zog. Diese kritisieren, dass AOKen seit Jahren mehr Mittel aus dem Gesundheitsfonds zur Deckung ihrer Leistungsausgaben erhalten, als sie tatsächlich benötigen. Allein im Jahr 2013 betrug der Überschuss mehr als 590 Mio. Euro. Hans Peter Wollseifer, Vorstandsvorsitzender des IKK e.V.: „Die Kassenart mit den höchsten Leistungsausgaben hat damit die besten Finanzergebnisse. Sogar die Kasse mit den höchsten Verwaltungsausgaben je Versicherten kann die Beiträge senken. Hier liegt der Verdacht der Überkompensation nahe.“ Kassen fühlen sich durch Methodenfehler des Morbi-RSA jährlich um dreistellige Millionenbeträge gebracht.

IKK-Vorstandsvorsitzender Hans-Jürgen Müller: „Die Innungskrankenkassen erwarten jetzt grundlegende Reformen, die die Defizite des Risikostrukturausgleichs zeitnah beheben, bevor die einseitige Ausgestaltung des Morbi-RSA den Leistungswettbewerb zwischen den Kassen vollends unterminiert und die Akzeptanz für das Ausgleichssystem weiter untergräbt.“ Der Morbi-RSA müsse versorgungsneutral, sicher und fair gestaltet werden, damit sich die ungleiche Finanzlage zwischen den Kassenarten trotz steigender Zusatzbeiträge nicht weiter verschärfe. Allerdings sieht es inzwischen auch bei den AOKen finanziell nicht mehr allzu rosig aus. Kürzlich meldete der AOK Bundesverband, im ersten Halbjahr 2015 erstmals mit einem Defizit in Höhe von 112 Mio. Euro abgeschlossen zu haben.

Morbi-RSA ist notwendig, aber nicht ausreichend

Der Morbi-RSA ist ein hochkomplexes System. Ob sich daran in nächster Zeit etwas ändert, ist fraglich. 2013 scheiterte die Techniker Krankenkasse (TK) mit einer Klage gegen den internen Finanzausgleich vor dem Landessozialgericht Nordrhein-Westfalen. Die TK hatte Ende 2009 gegen die Morbiditätsorientierung geklagt, da diese aus ihrer Sicht verfassungswidrig sei. Es könne nicht sichergestellt werden, dass die Diagnosecodierung, mit der die Versicherten in Morbiditätsgruppen eingeordnet werden, manipulationsfrei und zuverlässig erfolge. Zudem mangele es an validen Daten- und Rechtsgrundlagen sowie einer demokratischen Legitimation. Ein Gutachten zeigte 2011 tatsächlich eine systematische Unterdeckung für höhere Altersgruppen und Krankheiten, die eine hohe Letalität und Multimorbidität aufweisen. Dagegen weisen jüngere Altersgruppen eine Überdeckung von bis zu drei Prozent auf.

Aktuell umfasst der Morbi-RSA 80 Krankheiten. Darunter befinden sich laut IKK auch kostengünstige Volkskrankheiten, wodurch erhebliche Manipulationsanreize gesetzt würden. Die Kasse schlägt daher vor, nur noch jene Morbiditätslast auszugleichen, die medizinisch schwerwiegend und klar abgrenzbar ist sowie hohe Kosten verursacht. Kurz gesagt sollen weniger Krankheiten berücksichtigt werden, dafür nur noch jene, die die Krankenkassen teuer zu stehen kommen. Manipulationsanreize sollen damit verhindert werden. Stattdessen würden so primärpraventive Bemühungen seitens der Krankenkassen erhöht. Die IKK spricht sich dabei klar gegen den vielfach geforderten Regionalfaktor aus. Dieser würde zu einer Konservierung der bestehenden Über- und Unterversorgungen führen.

Angesichts steigender Defizite der Kassen erscheint eine Reform dringend nötig. Positiv an den vorliegenden Reformvorschlägen zu bewerten ist der Umstand, dass die Kassen nicht einfach mehr Geld aus dem Gesundheitsfonds, sondern eine sachgerechte Umverteilung und den Abbau von Überdeckungen fordern. Diese führen letztlich dazu, dass andere Kassen benachteiligt werden, was sich letztlich in höheren Mitgliedsbeiträgen und einer schlechteren Versorgung niederschlägt. Ebenso wird der Faktor Prävention berücksichtigt. Leider ist es unwahrscheinlich, dass eine Reform schnell über die Bühne geht. Gesundheitspolitiker spielen auf Zeit und wollen erst ein neues Gutachten abwarten.