Auf der Suche nach einer Lösung gegen unnötige Krankenhauseinweisungen wird viel zu häufig eines vergessen: Der Patient. Zu diesem Ergebnis gelangt eine Untersuchung der University of Birmingham, die kürzlich vorgestellt wurde. Auch in Deutschland gesteht man den Patienten noch immer nicht besonders viel Eigenständigkeit und Selbstbestimmtheit zu.
Menschen zu Experten in Sachen eigener Gesundheit machen
Der National Health Service (NHS) in Großbritannien und Nordirland verzeichnet jedes Jahr mehr als zwei Mio. ungeplante Krankenhauseinweisungen von Menschen über 65, die damit 68 Prozent der Belegtage von Notfallbetten ausmachten. Dies stehe in direktem Zusammenhang mit den finanziellen Problemen des NHS.
Laut Aussage der Forscher mangelt es dieser pauschalen Aussage aber an einer belastbaren Grundlage: Es sei unklar, welche Einweisungen tatsächlich als unnötig bezeichnet werden könnten. Bis jetzt existierten keine Definitionen oder Anweisungen diesbezüglich. Stattdessen sei erkennbar, dass die Zahlen unnötiger Einweisungen abhängig von Zeitpunkt, Ort oder der Verfügbarkeit von alternativen Behandlungsmethoden stark variieren. Noch mehr: Die Variable Patient käme in dieser Gleichung überhaupt nicht vor.
Ein Lösungsansatz der Forscher lautet daher, Patienten stärker in den Mittelpunkt der Beobachtungen zu rücken. Projektleiter Prof. Jon Glasby: „Wir müssen anerkennen, dass der Patient ein Experte ist. Er ist vermutlich der Einzige, der eine Langzeit-Perspektive auf seine Erkrankung hat. Er weiß, wie sich seine Gesundheit über die Zeit verändert hat und wann Vorsorgemaßnahmen getroffen werden müssen, um eine Krankenhauseinweisung zu vermeiden. Solches Wissen ist notwendig, um zu verstehen, wie die Zahl unnötiger Einweisung verringert werden kann.“
Wer weiß es besser, Arzt oder Patient?
Die britischen Erkenntnisse liefern auch für Deutschland wertvolle Anregungen. Auch hier mahnen Kassen, Verbände etc. seit vielen Jahren, dass es zu viele Krankenhauseinweisungen gäbe, viele davon seien unnötig. Aber aus welcher Perspektive sind sie unnötig? Aus der der Kostenträger oder der von Ärzten und Patienten? Auch hier ist man in vielen Fällen noch weit davon entfernt, Patienten ein qualifiziertes Urteil zu ihren Gesundheitszustand zuzugestehen. Stattdessen scheint ein Konsens darüber zu herrschen, sowohl in der Gesundheitspolitik als auch in der Medienberichterstattung, dass Patienten an die Hand genommen und gesteuert werden müssten. Bestes Beispiel ist hier die Praxisgebühr, durch die die Häufigkeit von Arztbesuchen gedrosselt werden sollte. Weitere Modelle wie die Hausarztzentrierte Versorgung (HzV) und Telemedizin werden als Gegenmittel zu hohen Krankenhauseinweisungen angesehen.
Tatsächlich stellt sich die Grundsatzfrage, wer besser über den Gesundheitszustand Bescheid weiß: Ein chronisch Kranker, der seit vielen Jahren mit einer Krankheit lebt, oder ein Arzt, der den Patienten einmal im Quartal in der Praxis sieht. Es darf auch nicht vergessen werden, dass „unnötige“ Krankenhauseinweisungen sind nicht zwangsläufig das Ergebnis von überbesorgten Patienten sind, die ihren Gesundheitszustand falsch einschätzen. In den meisten Fällen sollte ohnehin gelten: Vorsicht ist besser als Nachsicht. Wer beispielsweise befürchtet, gerade Symptome eines Schlaganfalls oder Herzinfarkts an sich festzustellen, ist gut beraten, sich direkt auf den Weg in die nächste Notaufnahme zu machen. Auch die Tatsache, dass in einigen Regionen die Infrastruktur so lückenhaft ist, dass Patienten teils keine Alternative zur Notfallambulanz eines Krankenhauses haben, ist lange bekannt.
Es bringt hier nichts, wenn sich Ärzte, Politiker und Patienten gegenseitig den schwarzen Peter zuschieben – Das Problem ist weder einer einzigen der Parteien zuzuschreiben, noch kann sie im Alleingang gelöst werden. Ein erster Schritt sollte aber, angelehnt an die Erkenntnisse der britischen Forscher, sein, Patienten Wissen und Kompetenzen zuzugestehen, frei nach Horaz: „Unklug ist es, Gebrechen zu verhehlen, statt sie zu heilen“