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Ab dem 1. Januar 2017 soll auch die häusliche Krankenpflege (HKP) in die Wirtschaftlichkeitsprüfungen der niedergelassenen Arztpraxen einbezogen werden. Die Verordnungen und die Kosten steigen stetig, die Krankenkasse DAK beschreibt sie als überdurchschnittlich hoch. Darum hat sie nun auch Berater installiert, die seit dem 18. Januar 2016 Arztpraxen besuchen und die Mediziner über Möglichkeiten zur Senkung von Kosten und Verordnungen aufklären.

Mehr als 8.000 Praxen sollen beraten werden. Ausschlaggebend sind die Verordnungen, die bisher für die HKP ausgestellt wurden. Auch Auffälligkeiten, wie eine Installierung von HKP zum Anziehen von Kompressionsstrümpfen, wenn gleichzeitig die letzte Strumpfverordnung über zwei Jahre zurück liegt, ist ein Grund. Maßgeblich werden jedoch Praxen berücksichtigt, deren Verordnungsniveau bei mehr als 25 Prozent über dem Durchschnitt liegt – damit orientiert sich die DAK an den bereits bestehenden Maßgaben zur Wirtschaftlichkeitsprüfung.

Wirtschaftlichkeitsprüfungen und Richtgrößen 

Seit dem 1. Januar 2004 überwachen verselbstständigte Gremien, die von den gesetzlichen Krankenkassen (GKV) und den kassenärztlichen Vereinigungen (KV) gebildet werden, die Wirtschaftlichkeit der niedergelassenen Ärzte. Anhand festgelegter Ausgabenvolumina und Richtgrößen wird geprüft, ob der Arzt den Vorgaben gemäß arbeitet. Bestimmte Ausnahmen rechtfertigen Verschreibungen, die über das als normal angesehene Maß hinausgehen. Ansonsten kann der Arzt verpflichtet werden, den Mehraufwand zu erstatten. Vorrangig werden Auffälligkeitsprüfungen durchgeführt, also Prüfungen, die als Folge von Überschreitungen der Richtwerte stattfinden.

Regresspflichten?

Hilflosigkeit, Existenzbedrohung, enormer psychischer Druck, so beschrieb das Ärzteblatt den Zustand eines Arztes, der dann auch wirklich in die Wirtschaftlichkeitsprüfung gerate. Die drohenden Regresspflichten machen Angst, auch wenn die meisten Fälle glimpflich ausgehen. Einen gewissen Spielraum haben die Mediziner auch, auf jeden Fall nach der alten Regelung. Ab einer Überschreitung von 15 Prozent müssen sie sich einer Beratung unterziehen, ab einer Überschreitung von 25 Prozent können sie zu Zahlungen verpflichtet werden – ebenfalls nach vorheriger Beratung. Sollte der betroffene Arzt nach der Beratung dennoch die Richtgrößen überschreiten, wird zumindest für zwei Jahre die Regresspflicht auf höchstens 25.000 Euro begrenzt.

Wie sinnvoll die Regresspflichten sind, fragte sich 2015 der Bayerische Rundfunk (BR). Die „Prüfungsstelle Ärzte Bayern“ verursachte gemeinsam mit dem Beschwerdeausschuss im Jahr 2014 Kosten in Höhe von 5,2 Millionen Euro. Dagegen stehen für das selbe Jahr Forderungen an Mediziner um die 5,5 Millionen Euro. Was von diesem Betrag nun wirklich kassiert wurde, konnte der BR nicht in Erfahrung bringen. „Die Effektivität der Wirtschaftlichkeitsprüfungen lässt sich jedoch grundsätzlich nicht an der Höhe der gezahlten Regresse bzw. Honorarkürzungen messen“, antwortete das Bundesgesundheitsministerium auf die Nachfrage.

Änderungen durch das GKV-VSG

Das Versorgungsstärkungsgesetz der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-VSG) sorgt zum 1. Januar 2017 für eine Neuordnung der Prüfungen von Wirtschaftlichkeit und Einhaltung der Richtgrößen. Geprüft werden sollen die Vereinbarungen ab diesem Zeitpunkt von Selbstverwaltungspartnern auf Landesebene. Die Vereinbarungen müssen Prüfungsregelungen zu allen relevanten wirtschaftlichen Punkten haben. Bestimmte Rahmenbedingungen werden auf Bundesebene festgelegt, die Ausgestaltung erfolgt regional.

Einbezogen werden alle ärztlich verordneten Leistungen. Bisher betraf die Wirtschaftlichkeitsprüfung Arzneimittel, Verbandstoffe und Heilmittel wie Physio- oder Sprachtherapie. Nun werden auch Hilfsmittel, Krankentransporte, Krankenhausbehandlungen, medizinische Rehabilitation, die Behandlung in Vorsorge- oder Rehabilitationseinrichtungen, Soziotherapie, spezialisierte ambulante Palliativversorgung oder eben die häusliche Krankenpflege einbezogen. Wie sich die neue Gesetzeslage auf die Regresspflichten auswirkt, scheint noch unklar. Der bisherige Grundsatz, dass zunächst beraten werden müsse, ist nicht mehr verankert. Ebensowenig die Kostendeckelung.

Nutzen der Prüfung

Mediziner sollen nach dem Gebot der Wirtschaftlichkeit arbeiten. Das heißt, dass die Leistung ausreichend, zweckmäßig, wirtschaftlich und notwendig sein soll. Das kommt auch den Patienten zugute. Inwieweit der Regresspflichten zum Wohl der Patienten beitragen, bleibt fraglich. So ist beispielsweise die Barmer GEK in Bezug auf die steigenden Patientenzahlen in der HKP deutlich entspannter als die DAK. Die demografische Entwicklung und die Versichertenstruktur seien der Grund, warum die Verordnungen in den letzten fünf Jahren um jeweils etwa zehn Prozent gestiegen seien, so Pressesprecher Axel Wunsch. Können das die Ärzte ebenso gelassen sehen, wenn sie etwaige Regressforderungen fürchten müssen?

Bei der alten Regelung wurde die Gefahr benannt, dass neue Ärzte Angst haben müssten, sich niederzulassen. Wird sich das ändern? Eine Liste mit Diagnosen, bei denen ein erhöhter Verordnungsbedarf zu erwarten ist, soll die Ärzte zukünftig schützen und die Rechtfertigung bei Überschreitungen vereinfachen. Die Richtgrößenprüfungen werden durch Zielwertvereinbarungen abgelöst. Wie genau jedoch die Ausgestaltung aussehen und wie sie sich auswirken wird, muss sich noch zeigen.