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Ende August entschied das Sozialgericht Darmstadt in einem Rechtsstreit zwischen der AOK Hessen und einem Apotheker um Null-Retaxationen bei onkologischen Rezepturen zugunsten des Apothekers. Die Krankenkasse hatte die Versorgung der bei ihr Versicherten mit onkologischen Rezepturen Ende 2013 per Selektivvertrag an bestimmte Apotheken übertragen, zu deren Kreis die Apotheke des Klägers nicht gehörte. Er arbeitete aber kontinuierlich mit einer onkologischen Praxis zusammen, die im gleichen Gebäude wie er ansässig ist und stellte parenterale Rezepturen für die in der dortigen Praxis versorgten Patienten her. Der Selektivvertrag der AOK sah nun vor, dass die Praxis Rezepturen künftig in einer anderen, knapp 50 Kilometer entfernten Apotheke herstellen lassen sollte. Als die Onkologen die Präparate stattdessen weiter über die Apotheke im selben Haus bezogen, blieb der Apotheker auf den Kosten für diese Medikamente sitzen: Die AOK retaxierte auf Null. Im sich anschließenden Klageverfahren obsiegte der Pharmazeut. Jetzt hat das Sozialgericht Darmstadt die Urteilsgründe veröffentlicht. darin heißt es, der Apotheker habe sehr wohl einen Anspruch auf Vergütung, da Patienten grundsätzlich das Recht haben, Medikamente über eine Apotheke ihrer Wahl zu beziehen. Bei Krebsmedikamenten gilt außerdem eine Ausnahme vom sonst geltenden Abspracheverbot: Apotheker dürfen Zytostatika-Zubereitungen regelmäßig direkt an den behandelnden Arzt abgeben.

Der klagende Apotheker hatte sich von den Patienten der onkologischen Praxis sogar schriftlich versichern lassen, dass sie ihre Medikamente über seine Apotheke beziehen wollen. Aus Sicht der Richter haben sie daher zweifelsfrei von ihrem Recht auf freie Apothekenwahl Gebrauch gemacht. Die Wahl sei auch nachvollziehbar, da die Patienten bei einer notwendigen Dosisanpassung so kurzfristig neue Medikamente hätten bekommen können. Der Apotheker hat nach der Überzeugung des Gerichts außerdem glaubhaft versichert, dass er mit vielen der Patienten aus der onkologischen Praxis intensiven Kontakt habe, da diese auch ihre Begleitmedikamente bei ihm erwerben und sich in der Apotheke etwa zum Thema Ernährung beraten lassen.

Daneben berücksichtigten die Richter auch, dass die Versorgung über die im AOK-Vertrag vorgesehene Apotheke deutlich ungünstiger gewesen wäre, da schon die Anfahrt der Patienten dorthin länger als 35 Minuten dauern würde. Der entsprechende Rahmenvertrag für onkologische Fertigarzneimittel sehe jedoch vor, dass zwischen dem Abruf der Zytostatika-Rezeptur durch den Arzt und dem Eintreffen in der Praxis nicht mehr als 45 Minuten liegen dürfen. Diese Lieferzeiten hätten niemals eingehalten werden könnten, so die Richter. Im Ergebnis muss die AOK Hessen nun dem Apotheker die ausstehende Summe von mehr als 70.000 Euro zahlen. Das Urteil ist allerdings noch nicht rechtskräftig.

Kommentar: Die Praxis der AOK Hessen hatte seinerzeit für heftige Reaktionen gesorgt. Insgesamt waren 13 Widersprüche bei der AOK eingegangen. Der Verband Zytostatika herstellender Apotheken rechnete mit eine Retax von insgesamt fast einer Mio. Euro. Die Apotheker hatten sich von Anfang an auf das Recht des Patienten zur freien Apothekenwahl berufen. Der Ausgang des Rechtsstreits könnte auch für Selektivverträge in anderen Bereichen als bei der Zytostatika-Medizin eine bedeutende Rolle spielen und Signalwirkung entfalten. Es bleibt abzuwarten, ob die AOK Hessen Rechtsmittel gegen das Urteil einlegen wird. Etwa zeitgleich hatte sich die AOK Rheinland-Pfalz mit der Retaxierung von Verbandstoffen Kritik eingehandelt. Die Apotheker beklagten einen enormen Aufwand, der nötig sei, um die Vorgaben der Kasse einhalten zu können.

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