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Für die Entwicklung neuer Arzneimittel sind Tierversuche noch immer ein notwendiges Übel – aus ethischen Gründen sind Tests an Menschen erst dann erlaubt, wenn ein neuer Wirkstoff zuvor im Tierversuch als unbedenklich eingestuft wurde. Nicht nur Tierschützer, auch Ärzte und Wissenschaftler setzen sich für Alternativen zum Tiermodell ein. Eine neue Entwicklung des Fraunhofer Instituts für Werkstoff- und Strahlentechnik in Dresden könnte einen Durchbruch darstellen.

Die Forscher des Instituts haben gemeinsam mit dem Institut für Biotechnologie der Technischen Universität Berlin eine neuartige Lösung entwickelt, die Tierversuche in der medizinischen Forschung oder der Kosmetikindustrie überflüssig machen könnte. Der so genannte Multiorgan-Chip kann komplexe Stoffwechselvorgänge des menschlichen Körpers verblüffend genau nachstellen. Dafür werden auf dem Chip menschliche Zellen an verschiedenen Stellen aufgetragen. Diese wurden zuvor aus Blutspenden gewonnen, die für Forschungszwecke zur Verfügung stehen. Die Zellen sind als „Mini-Organe“ durch winzige Kanäle miteinander verbunden. Eine Pumpe befördert kontinuierlich flüssiges Zellkulturmedium durch diese Kanäle, ähnlich wie der menschliche Blutkreislauf.

Die Idee, Zellproben mit Fluidkanälen zu verbinden, ist zwar nicht neu, das Microchip-System der Forscher besitzt gegenüber bisherigen Modellen aber einen entscheidenden Vorteil: Durch die extreme Miniaturisierung ist das Verhältnis zwischen Zellprobe und flüssigem Medium realitätsgetreu. Damit sind wesentlich genauere Ergebnisse möglich, die auf den Menschen übertragbar sind. So kann genau untersucht werden, welche Wechselwirkungen beispielsweise Arzneimittel im Körper verursachen. „Die meisten Medikamente wirken systemisch, also auf den gesamten Organismus. Dabei entstehen oftmals erst durch Stoffwechselvorgänge toxische Substanzen, die wiederum nur bestimmte Organe schädigen“, erklärt Dr. Frank Sonntag vom Fraunhofer Institut für Werkstoff- und Strahltechnik IWS. Der Chip wurde kürzlich mit dem Tierschutz-Forschungspreis 2014 ausgezeichnet.

Kommentar: Nach Zahlen des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) wurden im Jahr 2013 fast drei Mio. Versuchstiere in deutschen Laboren verwendet. Dabei war ein leichter Rückgang im Bereich der Giftigkeitsprüfungen festzustellen, gleichzeitig aber ein Anstieg im Bereich Gentechnik und Grundlagenforschung. In 2013 konnte erstmals wieder ein leichter Rückgang der Zahl der Versuchstiere festgestellt werden, was auf die wachsende Anzahl tierversuchsfreier Methoden zurückzuführen ist. Dazu zählen Zellkulturen, Gewebeschnitte, computergestützte Rechenmodelle und analytische Methoden. Diese sollen sogar verlässlichere Daten liefern, da die Ergebnisse im Vergleich zum Tierversuch auf den Menschen übertragbar seien.

[ilink url=“http://www.iws.fraunhofer.de/de/presseundmedien/presseinformationen/2015/presseinformation_2015-05.html“] Link zur Quelle (Fraunhofer IWS)[/ilink]