Seite wählen

Nach Berechnungen des Statistischen Bundesamts gab die gesetzliche Krankenversicherung (GKV) im Jahr 2014 rund 85,9 Mrd. Euro allein für Krankenhäuser aus. Dies entspricht einer Ausgabensteigerung um 4,3 Prozent im Vergleich zum Vorjahr. Auch in Zukunft wird das einer der größten Posten der Gesundheitsausgaben bleiben. Um die Kostensteigerungen zumindest etwas abzumildern gilt der Grundsatz „ambulant vor stationär“. Dass das meist nur in der Theorie gut klappt, zeigt der aktuelle Krankenhausreport der AOK.

Seit Jahrzehnten öffnen sich Krankenhäuser zwar immer mehr für die ambulante Versorgung, allerdings ohne einheitlichen Ordnungsrahmen. Die Folgen: teure Mehrfachdiagnostik, Behandlungsfehler, zu viel Behandlung und daher hohe, vermeidbare Ausgaben. Der Report kommt zu der Einschätzung, dass das Fehlen einheitlicher Standards in der ambulanten Versorgung ernste Gefahren birgt.

Vor allem die mangelnde Kooperation zwischen den Akteuren der ambulanten und stationären Versorgung bereitet den Studienautoren Sorge. Echte Zusammenarbeit existiere demnach nicht und sei laut Studienautor und Vorsitzendem des Gesundheits-Sachverständigenrats Ferdinand Gerlach auch nicht vorgesehen: „Zwischen Kliniken und Praxen verläuft eine kaum überwindbare Mauer, die für Patienten gefährlich und für alle viel zu teuer ist.“ Patienten erhielten laut Report in vielen Fällen unnütze Doppeluntersuchungen, die sogar ein gesundheitliches Risiko darstellen können, beispielsweise bei häufigem Röntgen.

Kliniken und Arztpraxen – Zusammenarbeit statt Konkurrenz gefordert

Die Versuche, die Mauer zwischen ambulant und stationär einzureißen, scheitere auch oft an Lobbyarbeit und Interessenskonflikten. So wollten etwa Kommunal- und Landespolitiker ihren Einfluss auf das regionale Krankenhaus nicht verlieren, Kassenärztliche Vereinigungen wiederum wollen sich ihre Macht durch eine Öffnung der Krankenhäuser für ambulante Leistungen nicht beschneiden lassen. Daher ist die ambulante Versorgung meist nur im Rahmen von Hochschul- und Notfallambulanzen, psychiatrischen Institutsambulanzen oder der Möglichkeit zur vor- und nachstationären Behandlung im Krankenhaus gegeben. Doch die Vielfalt von unterschiedlichen Regelungen und Öffnungsvarianten sei geradezu ein Wildwuchs entstanden, der nicht der Logik, sondern eher dem Zufall folge, so kritisiert der Gesundheitsökonom und Studienautor Jürgen Wasem die Situation.

Blick über den Atlantic – „Retail Clinics“ als Alternative?

In den USA wurden, um Kosten einzusparen, sogenannte Convenient Care Clinics (CCCs), auch Retail Clinics genannt, etabliert. Die Bezeichnung Retail Clinic resultiert aus dem Umstand, dass die Kliniken häufig in Supermärkten, Apotheken oder Einkaufszentren angesiedelt sind. Sie sind dabei nicht mit Kliniken im deutschen Sinne zu verwechseln, sie sind lediglich auf die Behandlung geläufiger, unkomplizierter Leiden wie Erkältungen und Grippe, Allergien, kleinere Verletzungen, Bindehautentzündung, Kopfläuse, Blasenentzündungen etc. fokussiert. Die CCCs sind auch nicht zwangsläufig mit Ärzten besetzt, oft übernehmen Krankenpfleger die Behandlung.

Ist es denkbar, auch in Deutschland in naher Zukunft die Wocheneinkäufe im Supermarkt gleich mit der Auffrischung der Tetanus-Impfung zu verbinden? Wohl kaum, aber besonders erstrebenswert ist diese Möglichkeit nicht einmal, denn wie einer aktuelle Studie zeigt, erfüllen CCCs nicht die erhofften Spareffekte. Stattdessen können sie die Kosten sogar in die Höhe treiben. Dies, so die Studie, sei beispielsweise der Fall wenn Patienten, die normalerweise keine Arztpraxis aufgesucht hätten, stattdessen zur Behandlung in die CCC fahren. So konnten im Untersuchungszeitraum zwar die Gesundheitsausgaben für ärztliche Behandlung gesenkt werden, gleichzeitig stiegen sie allerdings für die Versorgung in CCCs. Insgesamt stiegen die Ausgaben so pro Patient um 14 Dollar pro Jahr. Das Beispiel zeigt, dass ambulant nicht gleich auch billiger bedeutet.

Für Deutschland lässt sich die Lehre ableiten, dass nicht immer mehr Sektoren parallel nebeneinander etabliert werden, sondern die bestehenden Sektorengrenzen geöffnet und abgeschliffen werden sollten. Hier ist vor allem die Bundesregierung gefragt. Martin Litsch, Vorstandsvorsitzender des AOK-Bundesverbands, mahnt: „Auf Schnittstellenprobleme wurde bislang von der Politik mit zahlreichen Einzellösungen reagiert. Die bisherigen Modelle inklusive der Ambulanten Spezialfachärztlichen Versorgung sind sicher gut gemeint, aber nicht gut gemacht. Das kann so nicht bleiben, da muss der Gesetzgeber noch mal neu ansetzen.“