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Am 13. Januar kritisierte Spectaris in einer Pressemitteilung die derzeitige Ausschreibungspraxis von Krankenkassen im Hilfsmittelbereich. Anlässlich der Petition „Ausschreibungen von Rollstühlen verbieten“ bekräftigte der Branchenverband seine Forderung, im Gesundheitswesen wieder vermehrt auf direkte Vertragsabschlüsse zwischen Krankenkassen und Leistungserbringern zu setzen. So könnten die Interessen aller Beteiligten besser berücksichtigt werden. Falls der Gesetzgeber weiterhin an Ausschreibungen festhalten will, müsse die Zuschlagserteilung zumindest auf das insgesamt wirtschaftlichste Angebot entfallen, es dürfe nicht allein der günstigste Preis das ausschlaggebende Kriterium sein.

Seit 2007 gibt es Ausschreibunsverträge. Die Anzahl der Ausschreibungen aller Produktgruppen im Bereich Hilfsmittel liegt bis heute bei 157. Mit dem Instrument der Ausschreibungen soll nach den Wünschen des Gesetzgebers eine wirtschaftliche Versorgung der Versicherten bei gleichbleibend hoher Produkt- und Dienstleistungsqualität gewährleistet werden. Nach Ansicht von Spectaris wird dieses Ziel deutlich verfehlt: „Im Gegenteil, die Versorgungsqualität der gesetzlich versicherten Patienten hat sich massiv verschlechtert. Dazu kommt, dass die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit sowohl der Leistungserbringer als auch der Hersteller gleichermaßen gefährdet wird. Die Erfahrungen mit der derzeitigen Ausschreibungspraxis haben gezeigt, dass heute das einzige Zuschlagskriterium der Preis ist. Weder die Beratung noch die Versorgungsqualität oder Qualität des Hilfsmittels spielen eine Rolle.“

Dieser Vorwurf wird durch eine Studie des Instituts für Wirtschaft, Arbeit und Kultur (IWAK) der Goethe-Universität in Frankfurt am Main bestätigt. Diese untersuchte die Versorgungsqualität mit Antidekubitus-Liegehilfen durch Leistungserbringer der AOK Hessen. Die Ergebnisse waren besorgniserregend: In vielen Fällen verstoße die Versorgung gegen Verbraucherschutzbestimmungen, Richtlinien und Vertragsinhalte. Besonders bei der Beratung und der Beurteilung der Situation der Patienten würde deutlich gespart. Auch eine individuelle Versorgung fände nicht statt, stattdessen versorgten die Ausschreibungsgewinner die Patienten fast ausschließlich mit standardisierten Produkten aus dem untersten Preissegment. Zusätzlich träten durch europaweite Ausschreibungen immer häufiger längere Wartezeiten und Serviceprobleme auf. Arbeitet die eigene Krankenkasse beispielsweise mit ausländischen Herstellern zusammen, kann der Patient nicht mehr einfach in ein Sanitätsfachgeschäft gehen und sich dort beraten lassen und das benötigte Hilfsmittel beziehen, sondern muss in der Regel direkt beim Hersteller bestellen.

Laut einer Studie des Beratungsunternehmens Summary Seven Consulting sind im Bereich Hilfsmittel die Ausgaben seitens der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zwischen 2012 und 2013 um 5,5 Prozent gestiegen. Der Anstieg erklärt sich nicht zuletzt durch den technischen Fortschritt und den demografischen Wandel. Am gesamten Ausgabenvolumen macht der Bereich Hilfsmittel vier Prozent aus. Den größten Anteil an Ausschreibungen haben die Inkontinenzhilfen, gefolgt von Elektrostimulationsgeräten sowie Inhalations- und Atemtherapiegeräten. Besonders im Bereich aufsaugende Inkontinenz sind die durchschnittlichen Erstattungsbeträge zwischen 2012 und 2013 gefallen, nämlich um zehn Prozent von 0,30 auf 0,27 Euro.

Das wichtigste Kriterium bei der Versorgung von Patienten mit Hilfsmitteln sollte die Qualität der Produkte und des zusätzlichen Services sein. Gerade bei Hilfsmitteln wie Rollstühlen oder Antidekubitus-Matratzen muss eine individuelle Berücksichtigung der Lebensumstände des Patienten erfolgen. Bei einer Fokussierung auf den günstigsten Preis ist es in der Tat schwierig, individuelle Lösungen zu finden und gute Beratung zu leisten. Aus Patientensicht ist daher eine Abkehr von dem aktuellen Ausschreibungsverfahren, bei dem der günstigste Anbieter gewinnt, zu begrüßen. Das Problem der hohen Kosten ist zwar nicht wegzudiskutieren, allerdings ist der Anteil von Hilfsmitteln an den Gesamtausgaben der GKV vergleichsweise gering. Die Mehrkosten könnten eventuell durch geeignete Maßnahmen an anderer Stelle kompensiert werden.

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