Seite wählen

Die Pflegesituation in Deutschland steht vor einer der größten Herausforderungen überhaupt: Der demografische Wandel. Die Gesellschaft altert, immer mehr ältere Menschen stehen immer weniger Jüngeren gegenüber. Das heißt auch, dass mehr Menschen pflegebedürftig werden. Gleichzeitig steigt die Zahl von Singlehaushalten und Kinderlosen. Hier kann nicht immer die Familie einspringen, so dass der Staat gefragt ist. Der aktuelle DAK Pflegereport befasst sich mit den tiefgreifenden Veränderungen, die auf die Gesellschaft zukommen.

Staat darf sich nicht allein auf pflegende Angehörige verlassen

In Deutschland waren im Jahr 2013 rund 2,6 Mio. Menschen auf Pflege angewiesen, dies entspricht einer allgemeinen Pflegequote von 3,3 Prozent. Diese steigt mit dem Alter stark an. Bei den 75- bis 84-jährigen beträgt die Pflegequote bereits 13,9 Prozent, ab einem Alter von 89 Jahren und älter steigt sie sogar auf 64,4 Prozent. Für die stationäre und ambulante standen 2013 in Deutschland rund 13.000 Pflegeheime sowie mehr als 12.700 Pflegedienste zur Verfügung. Mehr als eine Mio. Menschen waren dort beschäftigt. Dies allein konnte die steigende Nachfrage allerdings nur zum Teil decken. Der Großteil der Pflegebedürftige wurde von Angehörigen zuhause gepflegt.

Das Institut der deutschen Wirtschaft Köln (IW) kritisiert, dass die Politik zu stark auf die Pflegeleistung von Angehörigen setze. Gegenüber dem Nachrichtendienst epd mahnte IW-Forscher Jochen Pimpertz: „Die Politik muss der Realität ins Auge sehen und schnell reagieren. Denn der notwendige Ausbau der Infrastruktur braucht Zeit.“ Demnach müsse Nordrhein-Westfalen 48.000 zusätzliche Pflegeplätze schaffen, in Bayern seien es knapp 23.000, in Baden-Württemberg 29.000. Nur so könne dem demografischen Wandel entgegengetreten werden. Das IW rechnet bis zum Jahr 2030 mit mehr als 3,4 Mio. Pflegebedürftigen. Um den steigenden Bedarf zu decken, müssten bundesweit 220.000 zusätzliche Plätze geschaffen werden. Pimpertz warnt davor, zu stark auf die ambulante Pflege durch Angehörige zu setzen: „Bislang fehlen empirische Beweise dafür, dass die familiäre oder nachbarschaftliche Pflege steigt.“ Bundesweit sei eher ein Trend zu professioneller Pflege zu beobachten.

Um sowohl die Situation der Pflegebedürftigen als auch die der Angehörigen und Pflegekräfte zu verbessern wurde im Oktober 2014 die angekündigte Pflegereform trotz Gegenstimme der Opposition von SPD und CDU beschlossen. Kerninhalte sind höhere Leistungen sowie der Ausbau in der stationären und der ambulanten Pflege. Zusätzlich wird ein Pflegevorsorgefonds eingerichtet, der innerhalb der kommenden 20 Jahre jährlich mit 1,2 Mrd. Euro bedient wird, um die Beiträge zur Pflegeversicherung langfristig zu stabilisieren. Ab 2035, wenn die geburtenstarken Jahrgänge ins Pflegealter kommen, sollen dann die Ansparungen ausgeschüttet werden. Um die Reform zu finanzieren, wird der Beitragssatz in zwei Stufen angehoben.

Die meisten Pflegenden fühlen sich überfordert

Wie aus dem Pflegereport hervorgeht, ist die Pflege von Angehörigen immer noch Frauensache. In rund 90 Prozent der Fälle übernehmen die Frauen diese Aufgabe. Nur ein Drittel der pflegenden Frauen sei berufstätig, davon ein Fünftel in Vollzeit. Milorad Pajovic, Leiter der DAK-Pflegekasse, geht allerdings davon aus, dass sich das Verhältnis in Zukunft ändern wird. Die Erwerbsbeteiligung der Frauen steige, so dass sich mehr Männer an der Pflege beteiligen müssen. Die negativen Folgen von der Belastung durch Pflege kennen allerdings kein Geschlecht: Rund die Hälfte der pflegenden Angehörigen fühlt sich durch die Aufgabe körperlich überlastet, 68 Prozent darüber hinaus psychisch und 71 Prozent zeitlich überfordert. Die Autoren des Reports schätzen, dass rund 20 Prozent aller pflegenden Angehörigen unter einer Depression leiden. Dabei gilt: Je länger die Pflege, desto höher der psychische Druck.

Wie auch im medizinischen Bereich wandelt sich die Pflege mit der Professionalisierung hin zu einem ökonomisch geprägten Dienstleistungsgedanken. Dies zeigt sich in einem grundsätzlichen Wandel der Aufgabenstellung und Leistungsnotwendigkeit als auch in der Beziehungsebene zwischen Pflegebedürftigem und Pflegendem. Auch in der politischen Diskussion steht die Ökonomie im Mittelpunkt: Die Zeit drängt, es gilt, mehr Pflegeplätze in kurzer Zeit zu schaffen, ohne das Budget zu sprengen. Ohne die Mitarbeit von pflegenden Angehörigen wird dies nicht zu schaffen sein. Die Pflegereform darf daher nicht nur auf die Pflegebedürftigen schauen, sondern muss weitere Bemühungen unternehmen, um Angehörige zu entlasten. Familienpflegezeit und zinsfreie Darlehen können da nur ein erster Schritt sein.