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Die häusliche Versorgung von Menschen mit einer Demenzerkrankung steht nun im Fokus von Fachleuten. Greifswalder Forscher des Deutschen Zentrums für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE) haben ein computergestütztes Verfahren entwickelt, um Demenzkranken eine möglichst lückenlose Versorgung zu ermöglichen. Das Verfahren läuft in der Form ab, dass besonders qualifizierte Pflegefachkräfte Patienten zu Hause besuchen und umfangreiche Befragungen per Tablet-PC zur Versorgungssituation durchführen. So werden gesundheitliche Beschwerden, die Medikation, die Häufigkeit von Arztbesuchen und auch Rahmenbedingungen, ob die Patienten etwa eine bevollmächtigte Person bestimmt haben, aufgenommen. Die Eingaben werden von dem Programm derart ausgewertet, dass sie spezifische Handlungsempfehlungen für den Hausarzt aussprechen.

Dr. Tilly Eichler, Wissenschaftlerin am DZNE in Greifswald erklärt das Programm so, dass die Software individuelle Patientencharakteristiken mit einem Kriterien- und Maßnahmenkatalog abgleicht, in dem Bedingungen für eine möglichst optimale Versorgung von Menschen mit Demenz beschrieben sind. Schon seit Januar 2013 wird das System in Mecklenburg-Vorpommern getestet. Die Untersuchungen sind Bestandteil der wissenschaftlichen Studie namens „DelpHi-MV“, in der das DZNE speziell neue Ansätze zur häuslichen Versorgung von Menschen mit Demenz erproben will.

Die bisherigen Erkenntnisse zur Demenzerkrankung generell zeigen, dass die Patienten so lange wie möglich zu Hause leben möchten. Da dementielle Erkrankungen sehr komplex sind und auch physische, psychologische, soziale und auch rechtliche Aspekte betreffen, müssen Versorgungslösungen auf die Patienten und die sie pflegenden Angehörigen individuell zugeschnitten sein, betont der Standortsprecher der DZNE, Standort Rostock/Greifswald und geschäftsführende Direktor des Instituts für CommunityMedicine an der Universitätsmedizin Greifswald Professor Wolfgang Hoffmann.

Ist der Datenverarbeitungsvorgang des sog. Interventions-Management-Systems (IMS) abgeschlossen, schlägt das System 28 verschiedene Maßnahmen für die Versorgung und Behandlung – sogenannte Interventionen – vor. Ergibt zum Beispiel die Auswertung einen Hinweis auf eine Depression bei dem Patienten, wird die Überweisung zu einem Psychiater empfohlen, der dann den Verdacht noch einmal medizinisch abklären soll. Fallen dem Patienten alltägliche Tätigkeiten wie das Anziehen und die Körperpflege schwer, rät das IMS zu einer Ergotherapie. Auch Änderungen werden protokolliert und bei einer weiteren Auswertung berücksichtigt. Eichler sieht darin die Möglichkeit, einen detaillierten Hausarztinformationsbrief erstellen zu können, der eine wichtige Entscheidungshilfe für den Hausarzt ist, um einen individuellen Versorgungs- und Behandlungsplan für seine Patienten zu erstellen.

Die Einführung dieses Programms ist eine beachtenswerte Innovation bei der Behandlung von Demenzkranken, da vor Augen zu führen ist, dass mehr als 50 Krankheitsformen dem Oberbegriff Demenz unterzuordnen sind, die in ihrer Diagnose und Therapieempfehlungen sehr unterschiedlich sind.

Bestätigt sich das System in weiteren Anwendungstestläufen könnte damit bei der Versorgung und Behandlung von Demenzkranken viel wertvolle Zeit gespart und vor allem sehr effektiv vorgegangen werden. Dies ist insbesondere vor dem Hintergrund des drohenden Pflegekräftemangels mehr als nützlich. Gerade wegen der komplexen Symptome erscheint ein sehr individuelles Programm für den Patienten möglich. Zudem fragt sich, inwieweit das System andere Erkrankungen wie etwa Inkontinenz und den Bereich der Wundversorgung übernehmen kann, wo Erscheinungsformen auch sehr häufig variieren.