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Unfair, wettbewerbsverzerrend, verfassungswidrig – all das wird dem morbiditätsorientierten Risikostrukturausgleich (Morbi-RSA) nachgesagt. Kassen fühlen sich durch Methodenfehler des Morbi-RSA jährlich um dreistellige Millionenbeträge gebracht. Zu Recht?

Gutachten beleuchtet Alternativen zum aktuellen Morbi-RSA

Krankenkassen erhalten, abhängig von ihrer Mitgliederstruktur, unterschiedlich hohe Mittel aus dem Gesundheitsfonds. In der Vergangenheit profitierten die Allgemeinen Ortskrankenkassen (AOKen) von besonders großzügigen Zuweisungen. Grund dafür soll der Morbi-RSA sein. Dessen Zweck ist es eigentlich, so die Absicht des Gesetzgebers, faire und gerechte Voraussetzungen im Wettbewerb zwischen den Kassen der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) zu schaffen.

Kritiker sehen das allerdings anders und fordern seit Langem eine Reform. Wie diese aussehen könnte untersucht ein Gutachten des IGES-Instituts, das sich auf die Krankheitsauswahl im Rahmen des Morbi-RSA fokussiert. Es zeigt Alternativen zur derzeitigen Ausgestaltung auf und bewertet diese. Damit sollen die tatsächlichen Auswirkungen der Krankheitsauswahl analysiert und unterschiedliche Optionen der Ausgestaltung vor dem Hintergrund der Realität des Morbi-RSA neu bewertet werden.

Krankheitsauswahl nicht in Stein gemeißelt

Schwerpunkt dieser Untersuchung bilden die Erkrankungen, die im Morbi-RSA berücksichtigt werden. Diese wurden bestimmt, damit kranke Versicherte für die Kassen nicht zwangsläufig schlechte Risiken darstellen. So soll der Wettbewerb zwischen den Kassen gerechter gestaltet werden.

Laut Vorgabe des Gesetzgebers müssen im Morbi-RSA 80 Erkrankungen berücksichtigt werden. Diese Vorgabe zog erwartungsgemäß ausgiebige Diskussionen nach sich. Auch die Auswahl der Erkrankungen ging nicht ohne Kritik über die Bühne. Anstatt, wie vom Wissenschaftlichen Beirat des Bundesversicherungsamts (BVA) empfohlen, eine logarithmische Prävalenzgewichtung zugrunde zu legen, wurde die Prävalenz mit der Wurzelfunktion gewichtet. Dies hatte zur Folge, dass viele häufige Erkrankungen ihren Weg in das Ausgleichssystem fanden, beispielsweise Herzinsuffizienz und Arteriosklerose.

Doch diese Auswahl muss keineswegs in Stein gemeißelt sein. Das Gutachten des IGES-Instituts geht ergebnisoffen der Frage nach, welche Alternativen zur bestehenden Krankheitsauswahl bestehen und wie sich diese auswirken würden.

Logarithmus macht Zuweisungen gerechter

Die Gutachter kommen zum Schluss, dass durch eine logarithmische Gewichtung der Krankheitsauswahl die Über- und Unterdeckungen einzelner Kassenarten bei den Zuweisungen angeglichen werden könnten. Dadurch würde die Chancengleichheit im Wettbewerb steigen, denn die daraus resultierende Krankheitsauswahl spiegele „eine gute Mischung aus seltenen teuren und häufig vorkommenden teuren Krankheiten wider“. Auch die Manipulationsanfälligkeit des Ausgleiches würde sinken.

Die Techniker Krankenkasse (TK) hatte in der Vergangenheit die Auswahl als manipulationsanfällig, willkürlich und verfassungswidrig bezeichnet und Klage eingereicht. Zudem sei die Datengrundlage für die Mittelzuweisungen unzureichend gewesen. Das Bundessozialgericht entschied allerdings im Mai 2014, dass der Morbi-RSA auch in dieser Form rechtmäßig sei. Er sei vom Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers gedeckt und durch sozialpolitische Ziele gerechtfertigt.

Auch der Freistaat Bayern fühlt sich durch den Morbi-RSA unangemessen benachteiligt. Die Versorgungsstruktur des Bundeslandes werde nicht ausreichend vom Bund gegenfinanziert, stattdessen flössen zunehmend Versichertengelder aus Bayern in andere Bundesländer. Die Zuweisungen reichten dagegen nicht aus, um die Leistungsausgaben in Bayern nachhaltig zu finanzieren. So seien bayerischen Beitragszahlern im Jahr 2011 mehr als zwei Mrd. Euro verloren gegangen. Bayerns Gesundheits- und Pflegeministerin Melanie Huml forderte daher die Einführung eines Regionalfaktors im Morbi-RSA.

Werden AOKen bevorzugt?

Fast alle Kassen der GKV schreiben seit Jahren rote Zahlen. Einsame Ausnahmen bildeten bislang die AOKen, was postwendend Vorwürfe anderer Kassenarten nach sich zog. Sie kritisieren, dass AOKen seit Jahren mehr Mittel aus dem Gesundheitsfonds zur Deckung ihrer Leistungsausgaben erhalten, als sie tatsächlich benötigen. Allein im Jahr 2013 betrug der Überschuss mehr als 590 Mio. Euro. Der Vorstandsvorsitzende des IKK-Bundesverbands, Hans Peter Wollseifer, protestierte damals: “Die Kassenart mit den höchsten Leistungsausgaben hat damit die besten Finanzergebnisse. Sogar die Kasse mit den höchsten Verwaltungsausgaben je Versicherten kann die Beiträge senken. Hier liegt der Verdacht der Überkompensation nahe.”

Dass sich an der Ausgestaltung des Morbi-RSA zeitnah etwas ändert, ist indes unwahrscheinlich. Das zeigt vor allem das bereits erwähnte Urteil des Bundessozialgerichts. Gleichzeitig ist ein starker Wettbewerb zwischen den Kassen politisch gewollt, und tatsächlich sinkt die Zahl der Kassen kontinuierlich. Auch von Seiten der AOKen wäre mit Widerstand zu rechnen, da den Kassen durch eine Umverteilung Millionen in der Bilanz fehlen würden.