Seite wählen

Das geplante Freihandelsabkommen TTIP ist in aller Munde, der kleine Bruder TiSA, ein Abkommen über den weltweiten Handel mit Dienstleistungen, ist dagegen noch eher unbekannt. Dies könnte sich jetzt allerdings ändern, denn ein bisher im Geheimen verhandeltes Dokument ist nun von der NGO „Associated Whistleblowing Press“ (AWP) geleakt worden. Dieses sieht unter anderem die globale Privatisierung der Gesundheitssysteme vor. Dies hätte weitreichende Folgen für die Gesundheitsversorgung und deren Finanzierung in den einzelnen Ländern.

Die Gesundheitssysteme böten im Hinblick auf Globalisierung noch große, ungenutzte Potentiale, der Gesundheitsbereich sei daher einer der potentiell lukrativsten Dienstleistungssektoren. Der so eingeleitete Vorschlag, der von der Türkei eingebracht und den EU-Mitgliedsstaaten im vergangenen September in Genf diskutiert wurde, will Gesundheitsdienstleistungen weltweit vermarkten und den Gesundheitstourismus fördern. Ermöglicht werden soll dies durch eine internationale, grenzenlose private Krankenversicherung. Jeder Versicherte könnte sich dann in dem Land seiner Wahl privat behandeln lassen, die Kosten hierfür müsste die Heimatkrankenkasse übernehmen.Für die Versicherten klingt dies zunächst verlockend, aber für die nationalen Gesundheitssysteme könnte das fatale Folgen haben. Gerade dort, wo aufgrund von Geldmangel ohnehin schon eine unzureichende Versorgung vorherrscht, könnte weiter Geld aus dem System gezogen werden, wenn die Einwohner sich in anderen Ländern behandeln lassen. Die Krankenkassenbeiträge kämen dann nicht mehr den einheimischen Krankenhäusern, Ärzten etc. zugute, sondern versickern im Ausland. Auch eine vermehrte Abwanderung von Gesundheitspersonal in „lukrativere“ Länder wird von Experten befürchtet.

Laut der Plattform AWP prognostiziert Dr. Odile Frank, Mitglied des Gewerkschaftzusammenschlusses „Public Services International“ (PSI), dass durch TiSA die Kosten für die Gesundheitsversorgung in Entwicklungsländern steigen werden und sich gleichzeitig die Versorgungsqualität in Industriestaaten verschlechtern wird. PSI-Generalsekretärin Rosa Pavanelli: „Gesundheit ist ein Menschenrecht und nicht verhandelbar. Das Gesundheitssystem existiert, um die Sicherheit und Gesundheit unserer Familien zu garantieren, nicht um die Gewinne großer Konzerne zu maximieren.“ Laut AWP stehen hinter den Verhandlungen große Versicherungskonzerne, die von dem auf sechs Mrd. Dollar schweren Geschäft profitieren wollen.

Wie auch schon bei TTIP sind die Verhandlungen zu TiSA durch Geheimhaltung und Intransparenz gekennzeichnet,  was die immer  zahlreicher werdenden Kritiker beunruhigt. Die Vorstellung, dass Bürger und Patienten durch eine marktwirtschaftliche Ausrichtung von Gesundheitsdienstleistungen zu Konsumenten gemacht werden, ist in der Tat beunruhigend. Es widerspricht dem Grundgedanken der Gesundheitsversorgung, diesen Bereich an rein ökonomischen Gesichtspunkten auszurichten. Nach ersten Enthüllungen im vergangenen Juni hieß es daher auch aus der Brüsseler Kommission, das TiSA-Abkommen dürfe keinen rechtsfreien Raum schaffen. Auch in der Öffentlichkeit wächst nach der Veröffentlichung der Verhandlungsdokumente der Widerstand gegen TiSA. Das internationale Kampagnennetzwerk Avaaz hat inzwischen eine Petition gegen das Abkommen ins Leben gerufen, die bereits von weit über 300.000 Mitgliedern unterzeichnet wurde. Aufgrund der sich verschärfenden Proteste der TiSA-Gegner ist ungewiss, wann und wie die Verhandlungen fortgesetzt und wie sie letztendlich ausgehen werden. Klar ist nur, dass das Freihandelsabkommen auch auf andere Dienstleistungssektoren Auswirkungen haben könnte, beispielsweise die Versorgung mit Trinkwasser, welche ebenfalls ein Menschenrecht ist und nicht privatisiert werden sollte. Insgesamt sind die Bestrebungen der Konzerne, Einfluss auf die Politik auszuüben, um derartige Marktmechanismen auf soziale Bereiche auszudehnen, mehr als beunruhigend.