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Wenn es nach dem GKV-Spitzenverband geht, sollen Kassen neue, innovative Arzneimittel künftig nur noch für bestimmte Patientengruppen erstatten. Was wie eine Dystopie klingt, in der nur noch privilegierte Menschen Zugang zu wirksamen Gesundheitsleistungen haben, wird von GKV-Spitzenverband relativiert. Demnach sollen nur jene Patientengruppen ein innovatives Arzneimittel erhalten, für die in Studien ein Zusatznutzen nachgewiesen werden konnte. Alle anderen sollen auf althergebrachte Medikamente zurückgreifen oder das gewünschte Medikament aus eigener Tasche bezahlen.

Innovative Arzneimittel sind nicht für jeden Patienten besser

Dies sei in anderen Ländern längst Usus, lautet es in einer Untersuchung im Auftrag des GKV-Spitzenverbands. Studienautor Prof. Dr. Reinhard Busse von der Technischen Universität Berlin erklärte, dass in den meisten europäischen Ländern oftmals nur Patientengruppen mit neuen, innovativen Arzneimitteln behandelt würden, sofern durch Nutzenbewertungen nachgewiesen sei, dass sie von einem Zusatznutzen der Medikamente profitieren. Befürchtungen, dass durch eine derartige Regelung das Versorgungsniveau sinken könnte, erteilte er eine Abfuhr. Gleichzeitig wies er auf die hohen Ausgaben für Arzneimittel in Deutschland hin: „Nirgendwo sonst stehen neue Arzneimittel so schnell und umfassend für die Behandlung von Krankheiten öffentlich erstattet zur Verfügung wie in Deutschland. Bezahlt wird dies mit im europäischen Vergleich hohen Arzneimittelausgaben, wozu aber auch das weiterhin überdurchschnittliche Preisniveau in Deutschland beiträgt.“

Die Ausgaben für Arzneimittel sind einer der größten Posten des Gesundheitssystems. Sie stiegen im Jahr 2014 um 9,4 Prozent, im ersten Quartal dieses Jahres verlangsamte sich der Anstieg leicht auf 5 Prozent je Versichertem. Die hohen Ausgaben für neu zugelassene Arzneimittel machen einen nicht unerheblichen Teil der Ausgaben aus. So werden die Kosten für das neu zugelassene Arzneimittel zur Behandlung von Hepatitis C, Sovaldi, bereits in den ersten drei Monaten 2015 auf 430 Mio. Euro beziffert. Dieses Medikament stand im Mittelpunkt des Interesses der Studie. Bisherige Daten hätten gezeigt, dass nur eine kleine Gruppe von Patienten mit einem bestimmten Genotyps des Virus von Sovaldi profitieren könne. Bei den übrigen Patienten sei Sovaldi in der Behandlung der Erkrankung althergebrachten Medikamenten gegenüber nicht überlegen. In der Konsequenz soll daher nach Ansicht des GKV-Spitzenverbands Sovaldi nur dann eingesetzt werden, wenn durch eine Untersuchung festgestellt wurde, dass der betroffene Genotyp vorliegt.

Wer zahlt die Zeche?

Aus wissenschaftlicher Sicht ist diese Haltung nachvollziehbar. Es muss allerdings einschränkend gesagt werden, dass sich durch die Anwendung von Arzneimitteln über verschiedenste Patientengruppen hinweg nicht selten im Nachhinein ein Zusatznutzen herausstellen kann, der vorher nicht bekannt war. Der GKV-Spitzenverband wiegelt ab und will diese Erkenntnisse durch zusätzliche Studien nachweisen lassen, die von den Pharmaherstellern zu finanzieren sind. Es braucht nicht viel Phantasie um sich vorzustellen, wie die Pharmakonzerne auf diesen Vorschlag reagieren werden.

Es ist ein ewiger Kampf zwischen Pharmaherstellern und Kassen, wenn es um Geld geht. Doch wo bleiben die Interessen der Patienten, wenn lediglich Fragen diskutiert werden, was eine Kasse zahlen will und was nicht? Müssen in Zukunft, allein aus Kostengründen, Patienten auf eine vielversprechende Therapie verzichten, weil sie nicht in der Lage sind, für ein Medikament aus eigener Tasche zuzuzahlen? Dies wäre ein erster Schritt in eine tatsächliche Zwei-Klassen-Medizin.