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Es kommt Bewegung in die Hilfsmittel-Debatte. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) legte nun einen Entwurf für die längst überfällige Überarbeitung der Produktgruppe 15 (Inkontinenz-Hilfsmittel) des Hilfsmittelverzeichnisses vor. Patientenbeauftragte begrüßen die geplante Überarbeitung. Dies kann allerdings nur ein erster Schritt sein.

Hilfsmittelverzeichnis ist nicht zeitgemäß

Der GKV-Spitzenverband reagiert damit auf die immer lauter werdende Kritik von Patientenverbänden, aber auch von Seiten der Politik. Seit Jahren ist es ein offenes Geheimnis, dass die Versorgung durch die GKV weder ausreichend ist, noch dem Sachleistungsprinzip entspricht. Nur wer als Patient bereit ist, aus eigener Tasche Zuzahlungen zu leisten, bekommt hochwertige Hilfsmittel. Wer dafür kein Geld zur Verfügung hat,  muss sich mit Produkten abfinden, deren Qualitätsstandard vor mehr als 20 Jahren als aktuell galt.

Für die betroffenen Versicherten kann das schnell schwerwiegende Konsequenzen haben: Erstattet die Kasse zu wenige Einlagen oder Windeln, müssen diese länger getragen werden. Halten sie nicht dicht, kann es passieren, dass man etwas riecht. Aus Scham geraten Inkontinenzpatienten schnell in die soziale Isolation. Der Grundsatz, nachdem die Hilfsmittelversorgung ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich sein muss, wird damit ad absurdum geführt.

Für die niedrigen Pauschalen der Krankenkassen werden vornehmlich Ausschreibungen verantwortlich gemacht. Lieferanten unterbieten sich gegenseitig, um einen Zuschlag von der Kasse zu erhalten. Das führte in den vergangenen Jahren dazu, dass die Monatspauschalen teilweise bei nur noch zwölf Euro liegen. Ein besonders prägnantes Beispiel liefert aktuell die Barmer GEK. Diese hob hat Medienberichten zufolge eine Ausschreibung für aufsaugende Inkontinenz-Hilfsmittel auf, Grund seien laut der Kasse geänderte Marktgegebenheiten. Unbestätigten Angaben zufolge habe ein Ausschreibungsteilnehmer eine Monatspauschale in Höhe von sechs Euro geboten. Dies entspricht einem Tagessatz von gerade einmal 0,20 Euro. Es braucht nicht viel Vorstellungskraft um zu erahnen, dass dafür keine Qualitätsversorgung erhältlich ist. Aber nicht nur Ausschreibungen gelten als Verursacher, auch der veraltete Stand des Hilfsmittelverzeichnisses.

Der Qualitätsstandard der Hilfsmittel befindet sich zum überwiegenden Teil noch auf dem Stand von 1993, dem Jahr, als das Hilfsmittelverzeichnis aufgelegt wurde. Seither hat sich auf dem Gebiet aber einiges getan – heutige Produkte auf dem neuesten Stand sind qualitativ weitaus hochwertiger und komfortabler. Versicherte bekommen diese aber nur, wenn sie selbst erhebliche Zuzahlungen leisten oder sich gleich komplett selbst um ihre Versorgung kümmern. Dass dies durchaus keine Seltenheit ist zeigt ein Blick in die Drogeriemärkte: Die Regale mit Inkontinenzprodukten namhafter Hersteller, aber auch der Eigenmarken, werden stetig länger. Dies spricht für eine hohe Nachfrage nach Alternativen zu den Produkten, die von den Kassen erstattet werden.

Sachleistungsprinzip besteht nur in der Theorie

Laut dem Selbsthilfeverband Inkontinenz zahlt der Großteil der Kassenpatienten bei Inkontinenzprodukten drauf. Auch eine komplette Kostenübernahme durch den Versicherten sei keine Seltenheit. Pro Monat kämen so schnell 50 bis 100 Euro zusammen. Daran beteiligten sich Kassen laut verband nur mit einem Betrag von durchschnittlich 15 Euro. Man muss noch einmal darauf hinweisen: Die Kassen sind für die Versorgung verantwortlich, trotzdem beteiligen sie sich nur mit einem Bruchteil der tatsächlichen Kosten! Das Sachleistungsprinzip existiert damit nur in der Theorie.

Nun soll das Hilfsmittelverzeichnis also im Bereich der Inkontinenzprodukte komplett überarbeitet werden. Dabei soll nicht nur auf eine Verbesserung der Produktqualität, sondern auch des Dienstleistungsniveaus Wert gelegt werden. Außerdem sollen Versicherte wieder verstärkt wohnortnah versorgt werden. Dies entspricht einer kleinen Anfrage im Bundestag der Grünen, die darauf hinwiesen, dass Inkontinenz-Hilfsmittel häufig ohne Beratung, unkoordiniert und nicht termingerecht verschickt würden.

Die Zeit, in der sich Kassen, Hersteller und Verbände gegenseitig den schwarzen Peter für die desolate Versorgungssituation zuschieben, ist wohl noch nicht vorbei, aber es kommt endlich Bewegung ins Geschehen. Die Überarbeitung des Verzeichnisses kann, richtig durchgeführt, ein erster Schritt sein, die wirtschaftliche Situation der GKV und die Profitorientierung von Herstellern nicht länger auf dem Rücken von Patienten auszutragen. Dabei darf es allerdings nicht bleiben. Um die Versorgung dauerhaft für alle Seiten zu verbessern, werden weitere Schritte nötig sein. Dies könnte beispielsweise die seit langem diskutierte Nutzenbewertung für Hilfsmittel sein. Für weitere konstruktive Vorschläge ist in der Debatte noch viel Raum.