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Am 21. April ging Europas Branchenevent für Gesundheits-IT, conhIT,  zu Ende und hinterlässt Besucher und Gesundheitsbranche einen Ausblick auf künftige Trends, ohne dabei Risiken zu verschweigen. Längst ist unser Alltag von digitalen Anwendungen durchdrungen. Das Gesundheitswesen hinkte hier lange hinterher, holt inzwischen aber rasant auf. Dazu trägt zum einen das E-Health-Gesetz bei, zum anderen die Wissenschaft, die sich mit der Frage beschäftigt, wie das Internet, die elektronische Patientenakte, Apps und Co. die Versorgung beeinflussen können. Die größte Innovationskraft geht allerdings von Unternehmen auf, die Nägel mit Köpfen machen und schon jetzt Produkte auf den Markt bringen.

E-Health-Gesetz: Von der Politik verordnete Digitalisierung

Bundesgesundheitsminister Hermann Gröhe (CDU), Schirmherr der conhIT 2016, bekräftigte, dass die Politik am straffen Fahrplan zur Umsetzung des E-Health-Gesetzes festhalten wird: „Die großen Herausforderungen, vor denen unser Gesundheitswesen steht, verlangen nach einer beherzten Nutzung von IT. Das E-Health-Gesetz war keineswegs der letzte Schritt, wir werden weiter Tempo machen.“ Ein erstes, für Patienten spürbares Resultat des Gesetzes, ist der Medikationsplan. Ab Herbst dieses Jahres haben Patienten, die mindestens drei Arzneimittel einnehmen, das Recht auf einen standardisierten Medikationsplan.

Gröhe signalisiert damit, dass die Politik ihre zögerliche Haltung in Sachen E-Health aufgegeben hat. Das kann aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass selbst beschlossene Projekte wie eben der Medikationsplan noch weit von einer optimalen Umsetzung entfernt sind. So soll die Medikation vorerst in Papierform dokumentiert werden, eine Implementation in die elektronische Gesundheitskarte (eGK) wird voraussichtlich nicht vor 2018 erfolgen.

Auch Europaweit geht es eher gemütlich voran. So will die Europäische Kommission in den kommenden vier Jahren unter dem Mantel der Connecting Europe Facility (CEF) ein E-Health-Netzwerk etablieren. Dieses erlaubt, Rezepte und elektronische Basisdatensätze von Patienten grenzüberschreitend auszutauschen. Dafür werden sogenannte National Contact Points (NCP) aufgebaut, deren Aufgabe darin besteht, digitalmedizinische Datensätze so aufzubereiten, dass sie mit der nationalen E-Health-Infrastruktur der jeweiligen Zielländer kompatibel sind. Kommissionsmitglied Dr. Tapani Piha: „Bis März haben bereits 20 EU-Mitgliedsstaaten signalisiert, dass sie an diesem Netzwerk teilnehmen, darunter auch Deutschland.“

Patienten und Unternehmen gehen voran

Deutlich weniger Berührungsängste mit neuen Angeboten haben die Patienten. Deren Rolle hat sich im Laufe weniger Jahre deutlich verändert: Sie beteiligen sich dank moderner Medien zunehmend selbst an Diagnose und Therapie, stellt Gunther Nolte, IT-Verantwortlicher der Vivantes-Kliniken bei einem Kongress im Rahmen der conhIT fest. Krankenhäuser, aber auch andere Gesundheitsdienstleister, müssten dieser Entwicklung Rechnung tragen und Strukturen schaffen, die die neue Rolle der Patienten berücksichtigt. Sein Kollege Tobias Meixner von den Helios-Kliniken warnt, sich dabei zu sehr auf Regulierungsrahmen zu konzentrieren. „Einfach machen“, lautet stattdessen sein Rat.

Am besten aber mit qualifizierter IT-Beratung – diese wird im Gesundheitswesen immer wichtiger, wie der aktuelle Branchenbericht „Aktueller Stellenwert und Perspektiven von Gesundheits-IT“ des Bundesverbands Gesundheits-IT (bvgit) zeigt. Die dafür befragten Ärzte aus dem niedergelassenen Sektor und in Krankenhäusern erklärten mehrheitlich, an technischen Innovationen interessiert zu sein und diesen grundsätzlich positiv gegenüber zu stehen. Sie äußerten dabei aber den Wunsch, intensiver zu Einsatzmöglichkeiten beraten zu werden.

Ärzte, Unternehmen, Gesundheitsdienstleister und Patienten nutzen also bereits innovative Anwendungen oder haben dies zumindest vor, während die Politik noch über das wie und teils sogar über das ob diskutiert. Nun könnte man freilich die freie Marktwirtschaft beschwören und fordern, der technischen Entwicklung abseits gesetzlicher Regelungen ihren Lauf zu lassen. Ob dies allerdings letztendlich den Patienten und Anwendern zugutekommt, darf bezweifelt werden. Genauso gut könnte ein Wildwuchs verschiedenster Angebote mit zweifelhaftem Nutzen die Folge sein. Es ist also wichtig, dass auch die Politik für eine Auslese durch Qualitäts- und Sicherheitsanforderungen sorgt. Aber in puncto Geschwindigkeit sollte sie lieber nicht das Maß der Dinge sein.