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Es tut sich was: Das Hilfsmittelverzeichnis wird buchstäblich ausgemistet. Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) gibt bekannt, die Qualitätsanforderungen an aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel (PG 15) im Hilfsmittelverzeichnis deutlich angehoben zu haben. Damit reagiert der Verband auf die langanhaltende Kritik über mangelhafte Produktqualität und hohe private Aufzahlungen durch die Versicherten. Auch die Kritik von Karl-Josef Laumann (CDU), Patientenbeauftragter der Bundesregierung, wurde endlich erhört.

Erst Ende vergangenen Jahres legte der Spitzenverband einen Entwurf für die längst überfällige Überarbeitung vor. Laumann fordert, dass die besseren Produkte umgehend bei den Versicherten ankommen.

„Wir räumen da gründlich auf!“

Laut Aussage des Verbands wurden die Qualitätsanforderungen insbesondere im Hinblick auf die Aufsauggeschwindigkeit und die Rücknässewerte verschärft. Als zusätzliche Qualitätsanforderungen wurden die Absorption von Gerüchen sowie die Atmungsaktivität festgeschrieben. Alle Produkte, die diese Anforderungen nicht erfüllen, werden nach einer Übergangsfrist von einem Jahr aus dem Hilfsmittelverzeichnis gestrichen.

Gernot Kiefer, Vorstand des GKV-Spitzenverbands, erklärt dazu: „Ich bin froh, dass jetzt deutlich höhere Qualitätsstandards für Inkontinenzprodukte gelten. Die Versorgung wird sich jetzt nachhaltig verbessern. Von den rund 2.200 für diesen Bereich im Hilfsmittelverzeichnis gelisteten Produkten werden sicherlich über 600 Produkte spätestens nach Ablauf von einem Jahr, also nach dem Ende der Übergangsfrist, nicht mehr abgegeben werden dürfen. Was den neuen Qualitätsanforderungen nicht entspricht, wird gestrichen. Wir räumen da gründlich auf!“

Neben dem Qualitätsaspekt rechnet Kiefer auch mit weiteren Veränderungen für gesetzlich Versicherte: „Damit die Änderungen möglichst schnell bei den Menschen ankommen, müssen jetzt die Krankenkassen und die Hersteller rasch die Versorgungsverträge überprüfen und gegebenenfalls anpassen. Ich erwarte, dass in Zukunft kein Versicherter mehr Aufzahlungen leisten muss, um wirklich gut versorgt zu werden.“

Laumann: Bessere Qualität muss schnellstens bei Versicherten ankommen

Der Patientenbeauftragte Laumann begrüßte insbesondere die Ankündigung Kiefers, dass Patienten auch ohne Aufzahlungen gute Hilfsmittel erhalten sollen: „Es ist ein Unding, dass Patientinnen und Patienten bisher oftmals aus eigener Tasche draufzahlen müssen, um eine ausreichende Qualität zu bekommen. Ich hoffe, dass das bald der Vergangenheit angehört. Ich bin der Meinung, dass dafür künftig jeder Leistungserbringer mehrere aufzahlungsfreie Hilfsmittel anbieten muss. Denn nicht jedes Produkt ist für jeden Versicherten geeignet. Darüber hinaus brauchen wir Klarheit darüber, wie viele Versicherte welcher Krankenkasse in welcher Höhe Aufzahlungen leisten. Hier brauchen wir eine klare Verpflichtung zur Veröffentlichung der entsprechenden Daten.“

Der Qualitätsstandard der Hilfsmittel in der PG 15 befindet sich größtenteils noch auf dem Stand von 1993, dem Jahr, in dem das Hilfsmittelverzeichnis aufgelegt wurde. Somit wurde nicht berücksichtigt, dass heutige Produkte deutlich hochwertiger und komfortabler für die Träger sind. Laumann fordert, dass diese besseren Produkte umgehend bei den Versicherten ankommen müssen. Laumann: „Ich fordere die Krankenkassen auf, die Versorgung schnellstens umzustellen. Es wäre unverantwortlich, die Übergangsfrist von einem Jahr bis zum Ende auszureizen. Versicherte, die auf vernünftige Inkontinenzhilfsmittel angewiesen sind, können nicht so lange warten.“

Der GKV-Spitzenverband hatte im Frühjahr 2015 damit begonnen, höhere Qualitätsanforderungen für Inkontinenzhilfen zu erarbeiten. Dieser Prozess ist nun abgeschlossen, die neuen Vorgaben sind verbindlich. Bundesminister Hermann Gröhe (CDU) will zusätzlich im April ein Hilfsmittelgesetz vorlegen, nach dem Krankenkassen beim Abschluss von Lieferverträgen nicht nur den Preis, sondern auch die Qualität im Blick behalten müssen.

Inkontinenz gilt trotz der aktuellen Diskussion immer noch als Tabuthema, über das viele nur hinter vorgehaltener Hand sprechen. Dabei handelt es sich keineswegs um Ausnahmeerscheinungen: Rund 50 bis 200 Mio. Menschen weltweit sind schätzungsweise von Inkontinenz betroffen. In Deutschland sind rund 30 Prozent aller über 80-jährigen betroffen. Inkontinenz ist ebenfalls einer der häufigsten Gründe für die Einweisung in ein Pflegeheim. Laut GKV-Spitzenverband benötigen rund 1,5f Mio. gesetzlich Versicherte regelmäßig Inkontinenzhilfsmittel.