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In Niedersachsen sind aktuell rund 390 Hausarztsitze im ländlichen Raum nicht besetzt. Dabei stellt der demografische Wandel die medizinische Versorgung im ländlichen Raum vor neue Herausforderung. Um dieser Entwicklung zu begegnen, hat sich der Landkreis Wolfenbüttel (Niedersachsen) der Initiative „Zukunfsregion Gesundheit“ des Niedersächsischen Sozial- und Gesundheitsministerium angeschlossen.

Ein Projekt dieser Initiative ist die „Rollende Arztpraxis“ (RA). Seit dem 6. August fahren verschiedene Ärzte der typischen hausärztlichen Versorgung in einem medizintechnisch ausgestatteten Fahrzeug über insgesamt 6 Dörfer. Dabei soll die RA ärztliche Dienstleistungen dort anbieten wo kein Arzt mehr ansässig ist, aber auch den Dorfarzt entlasten, indem Hausbesuche übernommen werden. Ziel ist es durch die zeitliche Entlastung auch Nachwuchsärzte für eine Praxis auf dem Land zu überzeugen. Das Pilotprojekt ist bis Ende 2014 angesetzt. Vorbild ist ein ähnliches Pilotprojekt, dass erfolgreich in der Schweiz getestet wurde. Das deutsche Projekt wird von der TU Braunschweig wissenschaftlich begleitet und evaluiert.

Zuerst ist geplant, dass die RA für drei Stunden zu festen Zeiten und Tagen im Zweiwochenrhythmus 6 Dörfer im Landkreis anfährt. Zusätzlich soll sie für 6 Stunden die Woche Hausbesuche im gesamten Kreisgebiet Wolfenbüttel übernehmen. Für jeden an die RA überwiesenen Patienten erhält der teilnehmende Hausarzt 7,50 Euro je Quartal. Dabei soll die RA als zentraler Ansprechpartner bei medizinischen Belangen dienen, indem sie etwa die vor Ort ausgefüllten Rezepte und Verordnungen direkt an Versandapotheken oder Lieferapotheken weiterleitet. Damit folgt Wolfenbüttel dem aktuell zu beobachteten Trend der Mobilisierung von ärztlichen Dienstleistungen im ländlichen Raum.

Bereits seit 2010 wird ein Pilotprojekt namens „MoNi“ in Niedersachsen durchgeführt, mit dem Ziel ärztliche Tätigkeiten an Praxispersonal zu delegieren und somit vermehrt Hausbesuche zu realisieren. Dabei soll der Arzt bei Verwaltungsaufgaben, Dokumentation, Patientenschulungen und Hausbesuchen entlastet werden. Laut Ausgaben der Ärzte habe sich der Aufwand für Hausbesuche halbiert und dabei die Zeit für jeweiligen Patienten verdoppelt. Zuletzt trat die Barmer GEK diesen Sommer dem Projekt bei. Ein ähnliches Projekt, welches nun in der zweiten Testphase ist, ist agnes-II in Brandenburg. Die “Arztentlastende, Gemeindenahe, E-Health gestützte, Systemische Intervention” soll dabei die gleichen Ziele wie MoNi erreichen. Jedoch werden hier Krankenschwestern speziell für den Einsatz als agnes-Helferin fortgebildet. Zuletzt wurde die Kompetenz der Helfer durch eine Fallmanagment-Komponente erweitert. Eine wissenschaftliche Untersuchung zur Wirtschaftlichkeit, des medizinischen Nutzens und der tatsächlichen Entlastung der Ärzte erfolgte hier jedoch nicht, da lediglich Patienten zu ihren Erfahrungen mit agnes-II befragt wurden.

Vor der Bundestagswahl waren auch rollende Apotheken zur wohnortnahen Versorgung mit Medikamenten im Gespräch. Während die CDU dies sogar in ihrem Wahlprogramm aufgenommen hat und dies als Gesprächsgrundlage mit den Akteuren des Gesundheitssystems nutzen möchte, riegelten die Apotheker ab. „Dies sei nicht der richtige Ansatz“, meinen Fritz Becker, Chef des Deutschen Apothekerverbandes und der Apothekerverband Brandenburg. Vielmehr sollte über eine Ausweitung des Botendienstes nachgedacht werden.

Die wohnortnahe Versorgung von älteren und multimorbiden Patienten im ländlichen Raum stellt in der Tat eine Herausforderung für die Politik und die Akteure des Gesundheitssystems dar. Es ist verständlich, dass die Marktakteure kein Interesse daran haben Infrastruktur in wirtschaftlichen schwachen Regionen vorzuhalten. Interessant ist jedoch, dass sich fast alle den dadurch benötigten Veränderungen verschließen und Innovationen bremsen. Langfristig wird es jedoch bei gleichbleibender Entwicklung dazu kommen müssen, dass für die ländliche Bevölkerung mobile Dienste angeboten werden müssen. Wer sich hierfür frühzeitig öffnet, könnte sich einen durch staatliche Subventionen geförderten Markt sichern.