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Seit drei Jahren ist die Praxisgebühr Geschichte. Die Zuzahlung wurde 2004 eingeführt, um die Zahl der Arztbesuche zu senken. Diese waren zuvor laut Statistiken in Deutschland besonders hoch. Dieses Ziel wurde jedoch nur für kurze Zeit erreicht, der bürokratische Aufwand war dafür allerdings hoch.

Doch viele sehnen sich inzwischen nach einem Instrument zur Patientensteuerung zurück. Andreas Gassen etwa, Vorstandsvorsitzender der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV) sprach sich erst kürzlich für eine stärkere Steuerung und eine Schwelle beim Zugang zum Arzt aus. Anlass war der Start der Terminservicestellen.

KBV-Chef Gassen: Patienten sind schuld an langen Wartezeiten

Gassen beklagte, dass viele Patienten angeblich wahllos Termine bei Ärzten vereinbarten. Sie würden wegen derselben Beschwerden gleich zu mehreren Fachärzten gehen und dadurch die langen Wartezeiten verursachen. Der KBV-Chef schlug als Lösung ein System ähnlich dem des Hausarztprinzips vor. Ein Arzt soll dabei immer der erste Ansprechpartner für den Patienten sein und diesen dann bei Bedarf weiterleiten. Es müsse sich dabei nicht zwangsläufig um den Hausarzt handeln, es könne auch der Gynäkologe oder bei chronisch Kranken der behandelnde Facharzt sein. Versicherte sollen dafür finanzielle Anreize von den Kassen erhalten. Kernessenz dieser Forderung ist die Unterstellung, dass Patienten keine qualifizierte Entscheidung darüber treffen können, ob ein Arztbesuch notwendig ist oder nicht. Diese muss ihnen von einem Arzt abgenommen werden.

Aber ist die Zahl der Arztbesuche tatsächlich so hoch, wie die Statistiken es vermitteln? Die Barmer GEK meldete im Arztreport 2010, dass die Versicherten 2008 durchschnittlich 18,1 Mal pro Jahr einen niedergelassenen Arzt aufsuchten. Vier Jahre zuvor seien es nur 16,4 Arztbesuche gewesen. Wie lässt sich der Anstieg erklären? Werden Deutsche kränker oder immer mehr zu Hypochondern? Und wie passen die Daten des Sozioökonomischen Panels (SOEP) des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung (DIW) dazu, das mit durchschnittlich zehn Arztbesuchen pro Bürger im Jahr 2011 von einem „signifikanten Rückgang“ spricht?

Wie genau ist die Statistik?

Diese Statistiken könnten weniger aussagekräftig sein als weithin angenommen. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Versorgung in Deutschland (ZI) kam 2012 zu dem Ergebnis, dass die meisten Bürger nicht so oft zum Arzt gehen wie die Zahlen glauben machen. Stattdessen gingen rund 50 Prozent der Arztbesuche auf das Konto von 16 Prozent der Patienten, die damit die Statistik in die Höhe trieben. Oft handle es sich bei ihnen um Dialysepatienten, denn die Blutreinigung erfordere häufige Arztbesuche. Die durchschnittlich 17 Arztbesuche pro Person und Jahr teilten sich laut ZI demnach folgendermaßen auf: Die Hälfte der Bundesbürger gehen bis zu zehn Mal pro Jahr zum Arzt. Ein Viertel kontaktiere dagegen nur bis zu vier Mal einen Mediziner. Weitere 25 Prozent suchen zwischen fünf und zehn Mal eine Arztpraxis auf, weitere 25 Prozent kommen auf elf bis 22 Arztbesuche pro Jahr. 25 Prozent kommen sogar auf mehr als 22 Arztbesuche. Dies geht aus dem Versorgungsatlas des ZI hervor, der sich auf Daten des Jahres 2007 stützt.

Insgesamt sind allerdings nur wenige Aussagen zur durchschnittlichen Zahl der Arztbesuche belastbar. Die steigenden Gesundheitsausgaben werden dennoch dazu führen, dass Patientensteuerung weiterhin Thema bleibt. Ob diese in Zukunft über finanzielle Anreize oder „Bestrafungen“ für häufige Arztbesuche laufen wird, lässt sich derzeit noch nicht abschätzen.