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Nach Berichten der Weltgesundheitsorganisation WHO sind im Jahr 2012 rund 38 Mio. Menschen weltweit durch Diabetes, Herzinfarkte, Schlaganfälle oder Krebs ums Leben gekommen. Etwa 16 Mio. davon starben noch vor ihrem 70. Lebensjahr durch die sogenannten Zivilisationskrankheiten. Laut WHO seien viele dieser Todesfälle vermeidbar gewesen. Daneben verursacht die Behandlung der Erkrankungen hohe Kosten in den Gesundheitssystemen. Doch nicht nur das, sie bremsen zudem noch das Wirtschaftswachstum. Auch darum ist die Politik bemüht, ein gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern. Das ist allerdings nicht immer einfach, dem inneren Schweinehund sei Dank. Schließlich ist es meist deutlich verlockender, sich ein Stück Kuchen zu gönnen als in einen Apfel zu beißen. Auch die Zigarettenpause gehört für viele zur Entspannung einfach dazu. Doch falsche Ernährungsgewohnheiten, zu wenig Bewegung und vor allem Rauchen kann zu schweren chronischen Erkrankungen und verfrühten Todesfällen führen.

Nudge: Der sanfte Schubs zum gewünschten Verhalten

Doch wie schafft man es nun, dass Menschen schlechte Angewohnheiten aufgeben oder gar nicht erst entwickeln? Der inzwischen häufig verfolgte Ansatz des „Nudging“ (engl. Nudge – Schubs oder Stups) beschreibt eine Methode, um das Verhalten von Menschen ohne Verbote oder Befehle zu beeinflussen. Geprägt wurde der Begriff von dem Wirtschaftswissenschaftler Richard Thaler und dem Rechtswissenschaftler Cass Sunstein. In ihrem 2008 erschienen Buch „Nudge. Improving Decisions about Health, Wealth and Happiness“ argumentieren sie, dass menschliche Entscheidungen nicht immer rational, sondern durch ihren Kontext beeinflusst werden. Sie plädieren daher für einen libertären Paternalismus, der den Kontext so beeinflusst, dass das Gemeinwohl vergrößert wird. Dabei soll dem Entscheider jederzeit freistehen, sich gegen den Weg zu entscheiden, auf den er geschubst wird. Berühmtestes Nudging-Beispiel: Urinale sind praktisch, aber im öffentlichen Bereich geht viel zu häufig schon mal was daneben. Wie löst man dieses unappetitliche Problem und bringt die Männer dazu, besser zu zielen? Der Flughafen Schiphol in Amsterdam hatte eine Idee: Seit einiger Zeit klebt im Urinal das Bild einer Fliege. Diese übernimmt die Funktion einer Zielscheibe, das erfreuliche Ergebnis: Es geht, wie erhofft, weniger daneben. An anderer Stelle sorgen sanfte Schubser dazu, dass Menschen sich gesünder ernähren: Stellt man in Kantinen Obst in Reichweite und ungesunde Snacks in eine verborgene Ecke, greifen die Kantinengänger deutlich häufiger zum Obst. Der Veggie-Day soll dazu motivieren, mehr Gemüse und weniger Fleisch zu essen.

Sechs Mio. sterben jährlich an Folgen des Tabakkonsums

Zu dem angestrebten gesunden Lebensstil passt vor allem eins nicht: Tabakkonsum. Nicht nur in Deutschland ist Rauchen das größte vermeidbare Gesundheitsrisiko, weltweit sterben jährlich sechs Mio. Menschen durch Tabakkonsum. Dies seien mehr Tote als durch HIV/Aids, Malaria und Tuberkulose zusammen, so die WHO. Daten der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung (BZgA) zeigen, dass im Jahr 2013 jeder dritte Erwachsene in Deutschland raucht. Ungefähr ein Viertel der Raucher in Deutschland fällt unter die Kategorie „starke Raucherinnen bzw. Raucher“, was einem täglichen Zigarettenkonsum von 20 Zigaretten oder mehr entspricht.

Allerdings sank der Anteil rauchender Jugendliche seit 2001 stark. von 28 auf knapp zehn Prozent im Jahr 2014, ein historischer Tiefstand. Verantwortlich dafür sind unter anderem Präventionskampagnen und Werbeeinschränkungen doch als effektivste Waffe gegen Tabakkonsum gilt aber eine hohe Tabaksteuer, eine klare Nudging-Maßnahme. Die inzwischen fünf bis sechs Euro je Schachtel halten viele davon ab, sich Zigaretten zu kaufen. Weitere wirksame Nudgings gegen Rauchen sind Nichtraucherschutzgesetze, die das Rauchen in Gaststätten, Restaurants und öffentlichen Gebäuden verbieten. Hintergedanke: Wer für jede Zigarette raus vor die Tür muss überlegt es sich möglicherweise zweimal. Die bisherigen Statistiken sprechen dafür.

Unverbindlicher Anreiz oder Manipulation?

Doch auch wenn das gewünschte und geförderte Verhalten gesünder und damit besser für den Einzelnen ist, drängen sich schnell die Fragen auf: Darf ein Staat seine Bürger im Sinne der Gesundheitsförderung umerziehen? Handelt es sich dabei nicht um Manipulation, entgegen des eigentlich libertären Gedankens? Hält der Staat seine Bürger schlicht und einfach für zu dumm, um richtige Entscheidungen zu treffen?

Es verwundert nicht, dass auch der Wirtschaft das Nudging der Politik nicht gefällt. Tabakkonzerne und Lebensmittelkonzerne sehen ihre Felle davonschwimmen, sollten zukünftig Äpfel an der Supermarktkasse ausliegen statt Zigaretten und Schokoriegel.

Kritiker haben Recht wenn Sie fordern, dass jeder ein Recht zur Unvernunft hat. Mündige Bürger dürfen Süßigkeiten in sich hineinzustopfen, wenn sie das möchten. Die Politik muss auch unvernünftige Entscheidungen tolerieren, so lange dadurch nicht anderen Menschen geschadet wird. Um dennoch gesundheitsbewusstes Verhalten zu fördern, und damit auf lange Sicht Ausgaben im Gesundheitssystem einzusparen, sollten die Bürger stattdessen selbst in die Lage versetzt werden, gute Entscheidungen zu treffen. Ein Baustein dafür ist Bildung und Information, die frühzeitig, also in Schule und Kindergarten, ansetzt und im Erwachsenenalter fortgeführt wird.