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Erneut ist die Hilfsmittelversorgung in Deutschland in die Schlagzeilen geraten, dieses Mal anlässlich einer parlamentarischen Anfrage an die Bundesregierung. Die Kleine Anfrage von Abgeordneten der Fraktion Bündnis 90 / Die Grünen fasste zusammen, was mittlerweile als allgemein bekannt gilt: Die zunehmende Praktik der gesetzlichen Krankenkassen, die Hilfsmittelversorgung der Patienten über Ausschreibungen zu regeln, kann zu Einbußen in der Leistungs-, Service- und Produktqualität führen. Die nun veröffentlichte Antwort zeigt allerdings: Die Bundesregierung teilt diese Ansicht nicht und sieht derzeit keinen Handlungsbedarf.

 Regierung sieht (noch) kein Problem

Seit der Einführung des sperrig betitelten Gesetzes zur Weiterentwicklung der Organisationsstrukturen in der gesetzlichen Krankenversicherung im Hilfsmittelbereich (GKV-OrgWG) 2009 ist der Anteil der Hilfsmittel, die Krankenkassen über Ausschreibungen beziehen, deutlich gestiegen. Gleichzeitig nahmen Beschwerden über die mangelnde Qualität einiger Produkte zu, nicht nur von Seiten der Patienten, sondern auch seitens des Medizinischen Dienstes der Krankenversicherung (MDK), so die Grünen. Außerdem zeigten auch empirische Studien, dass Ausschreibungen dazu führen können, dass die Versorgungsqualität, beispielsweise im Bereich Anti-Dekubitus-Versorgung, sinkt. Ein weiterer Kritikpunkt: Bei zum Verbrauch bestimmten Hilfsmitteln wie Windeln werden nicht selten Mengen geliefert, die nicht bedarfsdeckend sind. In der Konsequenz müssen die Betroffenen aus eigener Tasche aufzahlen, um mehr und / oder hochwertigere Produkte zu bekommen. Die Grünen wandten sich daher mit ihrer Anfrage an die Bundesregierung, um auf die Situation hinzuweisen und um ein Statement zur Einschätzung der aktuellen Situation und künftigen Entwicklungen zu erhalten.

Die Regierung sieht indes kein Problem, will den Bereich Hilfsmittelversorgung aber im Auge behalten. Die parlamentarische Staatssekretärin im Bundesgesundheitsministeriums (BMG), Annette Widmann-Mauz (CDU), weist in der Antwort auf die Anfrage darauf hin, dass die Ausgaben der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) in den letzten Jahren erheblich gewachsen und dabei deutlich stärker gestiegen sind als die sonstigen Leistungsausgaben. Der Anteil am gesamten Ausgabenvolumen betrage geschätzt zwischen fünf und zehn Prozent. Auch eine Zunahme der Beschwerden kann sie nicht nachvollziehen und verweist auf die GKV-Beschwerdezahlen des Bundesversicherungsamts (BVA). Diese lassen sogar einen Rückgang vermuten: Während im Bereich Hilfsmittel 2011 noch 290 Beschwerden eingingen, waren es ein Jahr später 271, 2013 waren es 208 und im Jahr 2014 nur noch 176 Beschwerden.

Apotheken steigen aus Hilfsmittelversorgung aus

Für eine angespannte Situation im Hilfsmittelbereich sprechen aber die derzeitigen Marktentwicklungen. Obwohl das Marktvolumen im Hilfsmittelbereich enorm ist, sind beispielsweise Apotheken immer seltener daran interessiert, diese anzubieten. Die Gründe: Zu bürokratisch, zu aufwändig, finanziell wenig interessant. Seit 2007 nimmt die Zahl der Apotheken, die Hilfsmittel anbieten, stetig ab. Einer der Hauptgründe ist das GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz. Damit wurden Kollektivverträge und Festbeträge durch ungleich bürokratischere Beitritts- und Einzelverträge sowie Ausschreibungen ersetzt. Seither schmelzen die Margen für Hilfsmittel, es lässt sich mit ihnen kaum noch Gewinn erzielen. Zudem sind viele Apotheker nicht bereit, die Präqualifizierungen für die einzelnen Produktgruppen durchzuführen. Für Patienten, die auf Hilfsmittel angewiesen sind, hat das Konsequenzen. Ein Bezug der benötigten Produkte über die Apotheke hat den Vorteil, dass so meist in der näheren Umgebung eine Bezugsquelle zur Verfügung steht. Sanitätshäuser sind im Vergleich wesentlich rarer gesät. Viele Patienten müssen daher nun wesentlich längere Anfahrtswege in Kauf nehmen.

Die Kritik an der Versorgungssituation wird wohl auch in naher Zukunft nicht abreißen, denn Ausschreibungen werden weiter zunehmen und weitere Produktbereiche davon betroffen sein. Gleichzeitig sinken die Erstattungspreise. Hinzu kommt die aktuelle Euroschwäche. Diese zwingt Händler und Hersteller, höhere Preise an den Endkunden weiterzureichen. Inzwischen geht daher der Trend zu einem Konsolidierungsdruck im Markt.  Leistungserbringer spezialisieren sich entweder auf bestimmte Produktbereiche oder Versorgungsformen, alternativ positionieren sie sich als Vollversorger. Es bleibt zu hoffen, dass diese Entwicklung nicht auf dem Rücken der Patienten ausgetragen wird. Die Bundesregierung ist daher in der Pflicht, den Bereich Hilfsmittelversorgung im Auge zu behalten und für eine Balance zwischen Bezahlbarkeit und Qualität sorgt.

 Über aktuelle Trends informiert zusätzlich der jährlich erscheinende S7 Trend-Report. Ab dem 20. Juli finden Sie die aktuelle Ausgabe mit dem Schwerpunktthema Hilfsmittelmarkt in Deutschland in unserem [ilink url=“https://summaryseven.de/angebote/“]Shop[/ilink]