Seite wählen

In Deutschland unterliegen Medizinprodukte, anders als Arzneimittel, keinem staatlichen Zulassungsverfahren. Nach dem Willen der Bundesregierung soll dies auch in Zukunft so bleiben. Zwar wurde das Verfahren auf Europa-Ebene inzwischen in einigen Punkten überarbeitet und verschärft, Kritikern gehen diese Änderungen jedoch nicht weit genug. Die Sicherheit der Patienten könne so nicht ausreichend gewährleistet werden. Auch der Sachverständigenrat zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen hat sich mittlerweile in die Diskussion eingebracht und empfiehlt eine komplette Neuorganisation in Anlehnung an die Verfahrensweisen der amerikanischen Zulassungsbehörde FDA.

Schon lange wird das privatisierte Zulassungsverfahren kritisiert, jüngst geriet es durch den Skandal um Brustimplantate des französischen Unternehmens PIP wieder in die Schlagzeilen. Das Unternehmen hatte illegal Brustimplantate aus billigem Industriesilikon hergestellt, die benannte Stelle in Deutschland darüber getäuscht und daraufhin die Zulassung für die minderwertigen Implantate erhalten. Diese wurden anschließend zehntausenden Frauen implantiert. Die Implantate rissen deutlich häufiger als Implantate aus medizinischem Silikon und verursachten mitunter schwere gesundheitliche Schäden. In vielen Fällen mussten die Implantate nach Bekanntwerden der Risiken entfernt werden. Die Politik reagierte auf den Vorfall und plante im September 2012 eine Überarbeitung der europäischen Medizinprodukterichtlinien, der so genannten Medical Device Directive. Ziel der Änderung sei es, die lückenlose Kontrolle über den gesamten Zulassungsprozess sicherzustellen und damit für die Zukunft ausschließen zu können, dass Medizinprodukte auf den Markt gelangen, welche den Sicherheitsanforderungen nicht entsprechen. Gleichzeitig solle die Wettbewerbsfähigkeit der Hersteller nicht beeinträchtigt werden.

Konkret bedeutet dies für Deutschland, dass die benannten Stellen, welche für die Zulassung verantwortlich sind, strengere Auflagen erfüllen müssen und stärker überwacht werden. Zusätzlich sind nun unangekündigte Audits bei den Herstellern möglich. Kritikern reichen diese Auflagen im Hinblick auf die Patientensicherheit indes nicht aus. Ihre Einwände werden durch ein aktuelles Gutachten des Sachverständigenrats zur Begutachtung der Entwicklung im Gesundheitswesen gestützt. Demnach sollten in Zukunft Belege über Nutzen und Risiken von Medizinprodukten beim Zulassungsverfahren berücksichtigt werden. Das Gutachten liegt der Bundesregierung seit einigen Wochen zur Diskussion vor.

Das Bundesgesundheitsministerium sieht für die Umsetzung der Empfehlung allerdings bisher keine Veranlassung. Auf eine kleine Anfrage der Grünen teilte das Ministerium mit: „Ein Systemwechsel wäre sehr zeit- und bürokratieaufwendig und würde allein nicht zu einer messbaren Verbesserung der Patientensicherheit führen.“ Stattdessen soll die Zulassung weiterhin privatisiert bleiben um Steuergelder einzusparen. Damit wird auch weiterhin eine CE-Zertifizierung durch die benannten Stellen ausreichen, um Medizinprodukte in Deutschland in Verkehr zu bringen. Auch der tatsächliche Nutzen der Produkte werde so in Zukunft unberücksichtigt bleiben.

Damit wird sich wohl in naher Zukunft nichts am Zulassungsverfahren ändern und die Kritik daran nicht abnehmen. Laut Gesundheitsexpertin der Grünen, Kordula Schulz-Asche, verhindere die Bundesregierung, „einen konkreten Beitrag zu einer höheren Wirksamkeit und Sicherheit von Medizinprodukten hoher Risikoklassen zu leisten.“ Mit Blick auf das Zulassungsverfahren der FDA weist sie darauf hin, dass durch eine zentrale Zulassung ein höheres Sicherheitsniveau erreicht und ein schneller Zugang zu Medizinprodukten sichergestellt werden kann. Es bleibt abzuwarten, ob trotz der bisherigen Änderungen weitere Skandale stattfinden. In diesem Fall wäre die Regierung definitiv in Zugzwang.