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Fast jeder wird einmal selbst in die Situation kommen, oder die Entscheidung für Angehörige treffen müssen: Stationäre Pflege oder zuhause pflegen? Laut einer aktuellen Studie können sich aber auch immer mehr Menschen mit dem Gedanken anfreunden, alternative Betreuungsformen zu nutzen. Die sogenannte Senioren-WG ist derzeit die beliebteste Variante. Gerade angesichts des vielbeschworenen Pflegenotstands klingen Wohngemeinschaften nach einer Alternative zum Heim und der ambulanten Betreuung zuhause.

Nach Ansicht der Bürger trifft das auch zu. Eine repräsentative Studie der Deutschen Gesellschaft für Qualität (DGQ) kommt zu dem Ergebnis, dass Deutsche zunehmend alternative Betreuungsformen der stationären oder ambulanten Pflege vorziehen. Eine Befragung von 1.000 Verbrauchern ergab, dass fast die Hälfte (48 Prozent) im Falle der eigenen Pflegebedürftigkeit in einem Wohnkomplex mit professioneller Pflege versorgt werden möchte. Auf Platz zwei folgen mit jeweils 37 Prozent die Pflege zuhause durch einen ambulanten Pflegedienst sowie das Leben in einem Mehrgenerationenhaus. Ein Drittel der Befragten kann sich für den Lebensabend eine Senioren-WG vorstellen. Weit Abgeschlagen (Platz 8 mit zwölf Prozent) ist das klassische Pflegeheim.

Senioren-WGs: Altern ohne Altersheim

Auch wer alt und gebrechlich ist, will deswegen noch lange nicht ins Pflegeheim. Manchmal ist es allerdings kaum möglich, in den eigenen vier Wänden eine angemessene Versorgung sicherzustellen. In diesem Fall kann über einen Umzug in eine Senioren-WG nachgedacht werden, in denen Pflegebedürftigen mit Männern und Frauen in der selben Lebenssituation leben und von ambulanten Pflegediensten professionell betreut werden. Der Vorteil: Im Gegensatz zu großen Pflegeheimen ist die Mitbewohnerzahl überschaubar, so dass eine individuelle Betreuung gewährleistet werden kann. Dabei muss niemand auf Privatsphäre verzichten, denn jeder Bewohner lebt in seinem eigenen Zimmer, in das er sich jederzeit zurückziehen kann. Gleichzeitig bieten Gemeinschaftsräume die Möglichkeit, gemeinsamen Aktivitäten nachzugehen. Der Gefahr der Vereinsamung wird so vorgebeugt.

Inzwischen werden sogar kultursensible Wohngemeinschaften gegründet. In Stuttgart bietet die WG „Emin Eller“ (Deutsch: In sicheren Händen) türkischen Familien eine Alternative, wenn die Pflege der Angehörigen zuhause nicht möglich ist. Für viele Angehörigen ist die Betreuung in einem Pflegeheim keine Alternative. In der türkischen Pflege-WG wird den Bewohnern die Umgewöhung so leicht wie möglich gemacht. Es wird türkisch gekocht, die Feiertage geachtet und natürlich auf türkisch kommuniziert. Dies ist insbesondere für Demenzkranke wichtig, die wieder in die Muttersprache zurückfallen.

Bindeglied zwischen ambulanter und stationärer Betreuung

Nicht nur für die Pflegebedürftigen klingt das Konzept Senioren-WG verlockend. Die Pflege außerhalb von Pflegeheimen ist in der Regel günstiger und daher auch politisch gewollt. Besonders stark gilt dies bei Demenz, wie Studien zeigen. Ein internationales Forschungsprojekt beispielsweise untersuchte die Versorgung von Demenzkranken in Deutschland und sieben weiteren europäischen Ländern. Demnach belaufen sich die Kosten für eine stationäre Betreuung auf durchschnittlich rund 5.200 Euro pro Monat, die Pflege durch ambulante Dienste und Angehörige summiert sich auf rund 2.700 bis 3,200 Euro, abhängig vom Schweregrad der Demenz. Nur bei besonders starken Ausprägungen kann es vorkommen, dass die ambulante Pflege insgesamt teurer ist als stationäre Pflege. Das heißt im Umkehrschluss aber nicht, alle Demenzkranken so um jeden Preis zuhause zu versorgen. Eine reine Orientierung auf die Kosten lassen wichtige Faktoren wie die Situation der Angehörigen und die Qualität der Pflege außer Acht. Gerade die Pflege von Demenzkranken ist für die Angehörigen häufig besonders belastend und überfordernd. Hier könnte stattdessen die Senioren-WG als Bindeglied zwischen ambulantem und stationärem Bereich fungieren. Senioren-WGs werden von der Pflegeversicherung besonders gefördert.

Für das Jahr 2020 wird ein erheblicher Pflegemangel prognostiziert. Nicht nur fehlt es an ausreichend Pflegepersonal, auch der Platz in Pflegeheimen wird knapp. Schätzungen gehen davon aus, dass in den nächsten fünf Jahren rund zehn Prozent der stationären Pflegeheimplätze aufgrund von geänderten Auflagen wegfallen. Alternative Betreuungsformen wie Senioren-WGs können den Engpass abmildern, aber keinesfalls auffangen, denn die ambulante Betreuung, sei es zuhause oder in WGs, ist nicht für jeden geeignet. Wichtig ist, dass auch derartige neue Konzepte ein wirksames Qualitätsmanagement implementieren. Bislang herrscht noch ein Flickentecppich an Anforderungen an Senioren-WGs. Es besteht die Gefahr, dass Pflegebedürftige im Extremfall einfach in einer Wohnung „abgeladen“ werden und ein ambulanter Pflegedienst schaut einmal pro Tag kurz vorbei. In naher Zukunft sollten daher verbindliche Rahmenedingungen verankert werden, um den Pflegebedürftigen den Lebensabend zu ermöglichen, den sie sich wünschen.