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Die totale Überwachung geht nicht (nur) von den großen Geheimdiensten aus – vollkommen freiwillig stellt ein großer Teil der Bevölkerung Unternehmen und Institutionen Daten zur Verfügung, die ohne Probleme zu einem detaillierten Bewegungsprofil zusammengesetzt werden können und mehr über die jeweilige Person aussagen als man denkt. Nur wenige machen sich darüber Gedanken, was mit ihren Daten passiert und welche Folgen daraus resultieren könnten, so scheint es jedenfalls.

Das bereitet auch Bundesjustizminister Heiko Maas (SPD) Kopfzerbrechen, er sprach sich beispielsweise gegen eine Koppelung von Krankenkassentarifen mit dem Einsatz von Fitness-Trackern aus. Im Rahmen des „Safer Internet Day“ am 9. Februar in Berlin kündigte er an, die Entwicklung genau zu beobachten. Er kritisierte vor allem die Illusion von Freiwilligkeit: „Das heißt, wenn es Angebote gibt nach dem Motto (…) entweder alles, oder du kriegst nichts, hast keinen Zugang zu irgendwelchen lukrativen Tarifen, dann hat das auch nichts mehr mit Freiwilligkeit zu tun“, so Maas. Damit knüpfte er an die bestehende Diskussion an, ob Krankenkassen Bonusprogramme im Gegenzug für Fitnessdaten anbieten sollen und dürfen.

Was ist mit dem Solidaritätsprinzip?

Tatsächlich haben auch schon einige gesetzliche Krankenkassen bereits Interesse an den Daten ihrer Mitglieder verkündet. So bezuschusst beispielsweise die AOK Fitness-Tracker. Dies sorgte für Kritik, auch von anderen Krankenkassen. So lehnte die IKK Südwest die Bezuschussung von Lifestyle-Produkten ab. Tarifangebote mit Rabatten für gesundheitliches Wohlverhalten sehe man dort sehr kritisch, Dies widerspräche dem Gedanken von Solidargemeinschaft in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) .

Die GKV könnte durch an Daten gekoppelte Bonusprogramme tatsächlich einen wichtigen Grundpfeiler der Sozialversicherung aufs Spiel setzen: Das Solidaritätsprinzip. Zwar dürfen keine Versicherten ausgeschlossen werden (wie in der PKV), dafür fände aber gegenüber anderen Versicherten eine Bevorzugung statt – auch das ist eine Art Auslese.

Versicherungen können anhand der Daten das individuelle Krankheitsrisiko des Mitglieds abschätzen und damit auch die Kosten, die es möglicherweise verursachen wird. Denn besonders junge, aktive und gesunde Menschen benutzen Fitness-Tracker. Der 70-jährige, multimorbide Rentner eher nicht. Die „attraktiven“ Mitglieder werden so von den Krankenkassen angelockt, gleichzeitig wird über die Bonusprogramme dem Solidarsystem Geld entzogen, das an anderer Stelle fehlt. Diese Umlenkung von finanziellen Mitteln ist ein ganz reales Szenario. So verzeichnete die GKV 2014 nur deswegen ein so hohes Defizit, da zuvor Prämien an die Versicherten ausgeschüttet wurden. Die Folge: Die Erhebung bzw. Erhöhung von Zusatzbeiträgen.

„Wenn du für ein Produkt nichts zahlst, bist du das Produkt“

Immer mehr Unternehmen erkennen, dass mobile Fitness-Anwendungen ein lohnendes Geschäft sind und steigen in den Markt ein. Der US-amerikanische Computerchip-Hersteller Intel beispielsweise investierte 2014 rund 100 Mio. Dollar, um das Unternehmen Basis Science zu übernehmen. Dieses stellt Fitnessarmbänder her, die Schritte zählen, den Herzschlag überwachen und die Schlafqualität beobachten können. Besonders aktiv ist Google in diesem Bereich. Der Suchmaschinenspezialist entwickelt unter anderem eine intelligente Kontaktlinse, die den Blutzuckerspiegel von Diabetikern automatisch misst.

Man mag die Beschwörungen von Kritikern, wir bewegen uns auf ein Big-Brother-Szenario zu, vielleicht schon müde geworden sein, aber sind diese Befürchtungen völlig aus der Luft gegriffen? Viele sind sich dieser Tatsache nicht bewusst: Anbieter von Apps und  Fitness-Trackern wissen mit jedem Tag mehr über das Verhalten der Nutzer. Wie hoch ist der Puls, wie oft betätigt er sich sportlich, schläft er genug?

Davon auszugehen, dass Unternehmen aus reinem Altruismus Apps und Hardware produzieren, damit wir ein schöneres und bequemeres Leben haben, ist mindestens naiv. Stutzig sollte allein schon die Tatsache machen, dass die meisten Apps kostenlos sind. Die Binsenweisheit: „If you are not paying for it, you are not the customer, you are the product being sold“ trifft hier ins Schwarze.

Wie gläsern wollen wir sein? Wie groß ist der vermeintliche Vorteil eines Bonusprogramms von Krankenkassen verglichen mit der Unkenntnis darüber, wer Zugriff auf die persönlichen Daten hat und wofür sie genutzt werden? So lange nicht festgelegt ist, dass Daten im Besitz des Verursachers bleiben, sollten wir uns an ein einfaches Prinzip halten: Informationen, die wir nicht fremden Menschen auf der Straße sagen würden, sollten wir auch nicht Konzernen zur Verfügung stellen. Und wer würde schon einem Fremden sagen, was er wiegt und ob er an einer Erkrankung leidet?!