Seite wählen

Die Freihandelsabkommen TTIP (Transatlantic Trade and Investment Partnership), TISA (Trade in Services Agreement) und CETA (Comprehensive Economic and Trade Agreement) werden teils schon seit Jahren verhandelt, mindestens ebenso lange formiert sich in der Gesellschaft Widerstand. Doch auch in der Politik herrscht keine Einigkeit. Während die Bundesregierung den Abkommen grundsätzlich offen gegenübersteht, werden in der Opposition Sorgen zu den Auswirkungen auf das deutsche Sozialsystem laut. Politiker vom Bündnis 90/ Die Grünen stellte jüngst eine parlamentarische Anfrage an die Große Koalition um zu erfahren, ob künftig die Gesetzliche Krankenversicherung (GKV) ebenfalls für den freien Markt geöffnet werden soll. Dies hätte laut Experten negative Auswirkungen auf Leistungen und Versorgung. Die Antwort der Bundesregierung ist allerdings uneindeutig.

Freie Marktwirtschaft statt Solidarsystem?

TISA sieht praktisch eine Globalisierung und Privatisierung des Gesundheitssektors vor. Laut einem von der Türkei eingebrachten Vorschlag sollen Gesundheitsdienstleistungen weltweit vermarktet werden, um den Gesundheitstourismus zu fördern. Dies soll durch eine internationale, grenzenlose private Krankenversicherung finanziert werden. Versicherten stünde die Behandlung im Land ihrer Wahl frei, die Kosten müsse die Heimatkrankenkasse übernehmen. Für die Versicherten mag dies zunächst verlockend klingen, für die nationalen Gesundheitssysteme hätte das indes fatale Folgen. Gerade dort, wo aufgrund von Geldmangel ohnehin schon eine unzureichende Versorgung vorherrscht, könnte weiter Geld aus dem System gezogen werden, wenn die Einwohner sich in anderen Ländern behandeln lassen. Die Krankenkassenbeiträge kämen dann nicht mehr den einheimischen Krankenhäusern, Ärzten etc. zugute, sondern versickern im Ausland. Auch eine noch stärkere Abwanderung von Gesundheitspersonal in “lukrativere” Länder wird von Experten befürchtet. Schon heute zieht es Pflegepersonal und Ärzte in Länder, in denen Gehälter und Arbeitsbedingungen besser sind. Gleichzeitig wirbt Deutschland Fachkräfte aus europäischen „Billiglohn-Ländern“ an, wodurch sich dort der Ärzte- und Pflegepersonalmangel verstärkt.

Bundesregierung will sich nicht festlegen

TTIP und CETA sollen durch Abbau von bürokratischen Hürden und Angleichung von Standards die Handelsbeziehungen fördern. Während Medizintechnik- und Pharmamarkt dem positiv gegenüberstehen, befürchten die Grünen, dass die GKV entgegen der Beteuerungen der Regierung nicht von den TTIP-Regeln und einer Marktöffnung ausgenommen wird. Sie könnte damit ihre Souveränität verlieren und wäre damit unter anderem nicht mehr in der Lage, Instrumente zur Kostenkontrolle wie Rabattverträge anzuwenden oder Regelungen für den Markteintritt von Arzneimitteln festlegen. In der Antwort auf die Anfrage kann die Bundesregierung noch nicht abschließend beantworten, wie dies vermieden werden soll. Bei TTIP solle aber die gleiche Absicherung für die GKV angestrebt werden, wie dies bei CETA im Entwurf aufgenommen wurde. Dieser sieht vor, Leistungen der GKV von der Marktöffnung aufzunehmen. Die Regierung gibt weiterhin an darauf achten zu wollen, dass die Bestimmungen im TTIP so ausgestaltet werden, dass sie die in Deutschland bestehenden Spielräume zur Organisation der Sozialversicherungssysteme auch dort unberührt lassen, wo die GKV mit der privaten Krankenversicherung (PKV) konkurriert.

Diese Aussagen sind den Grünen nicht genug. Es handle sich um reine Absichtserklärungen ohne verpflichtenden Charakter. Tatsächlich sind die Absichten der Regierung schwammig formuliert und bieten damit ein Hintertürchen. Insgesamt setzt sich damit die intransparente Verhandlung um TTIP und Co fort. Salopp gesagt: Anstreben, wie die Bundesregierung es plant, lässt sich vieles. Was tatsächlich hinter verschlossenen Türen verhandelt und beschlossen wird, steht auf einem anderen Papier. Die Befürchtung von Bürgern und Opposition, letztendlich vor vollendete Tatsachen gestellt zu werden, ist damit nicht unbegründet. Die Regierung betreibt in dieser Hinsicht eine schlechte Krisenkommunikation: Anstatt auf Transparenz, Aufklärung und Information zu setzen, um Bedenken zu zerstreuen und die Akzeptanz zu fördern, liefert sie nur Informationen, wenn sie dazu aufgefordert wird. Die aktuelle Antwort bildet keine Ausnahme und lässt an Walter Ulbricht denken: „Niemand hat die Absicht, eine Mauer zu errichten.“ Die Geschichte erweist sich hier hoffentlich nicht als Omen.