Seite wählen

Die Notfallambulanzen in Deutschlands Kliniken sind überlastet, so viel steht fest. Doch dort landen nicht nur wirkliche Notfälle, sondern auch Patienten mit weniger ernsten Erkrankungen, die aber nicht wissen, wohin sie sich außerhalb der Sprechzeiten ihrer Arztpraxen sonst wenden sollen. Der Grund: Es fehlt an fachspezifischen Bereitschaftsdiensten niedergelassener Ärzte. Dieser Zustand belastet laut Aussage verschiedener Krankenhausverbände die Kliniken besonders auf finanzieller Ebene.

Laut der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) bestehe ein Milliardendefizit bei der Finanzierung der ambulanten Notfallversorgung. Die DKG rechnet in dem kürzlich vorgestellten „Gutachten zur ambulanten Notfallversorgung im Krankenhaus“ vor, dass einem durchschnittlichen Erlös von 32 Euro pro ambulantem Notfall Fallkosten von mehr als 120 Euro gegenüber stünden. Bei mehr als zehn Mio. ambulanter Notfälle mit einem Fehlbetrag von 88 Euro bedeute dies fast eine Mrd. Euro nicht gedeckter Kosten für die Krankenhäuser. Diese geraten damit in eine Kostenfalle. so Georg Baum, Hauptgeschäftsführer der DKG.

Der Verband der Krankenhausdirektoren Deutschlands (VKD) stellte sich auf die Seite der DKG. Das Gutachten bestätige zu hundert Prozent die eigenen Erfahrungen. Die Notaufnahmen würden von Jahr zu Jahr stärker von Patienten in Anspruch genommen, die auch ambulant behandelt werden könnten. „Das Versorgungsnetz im niedergelassenen Bereich wird immer löchriger. Das spüren wir tagtäglich in unseren Häusern. Die klinischen Notfallaufnahmen weisen niemanden ab. Doch dieser Trend der zunehmenden Inanspruchnahme führt zu immer stärkeren finanziellen Belastungen, denn die Vergütungsregelungen sehen eine entsprechende Bezahlung dieser Krankenhausleistungen nicht vor. Die Folge sind erhebliche Finanzierungslücken“, so Dr. Falko Milski, Pressesprecher des VKD. Gänzlich realitätsfern sei es, die ohnehin knapp kalkulierten Mittel der Kliniken noch um den geplanten zehnprozentigen Investitionsabschlag zu mindern, so der Verband weiter.

Der GKV-Spitzenverband argumentiert dagegen, dass eine Notfallbehandlung nicht allein dadurch teurer sein dürfe, weil sie ambulant in einem Krankenhaus anstatt von einem niedergelassenen Arzt durchgeführt werde. Auch wenn zunehmend einfache Erkrankungen in der Notfallaufnahme auftauchten, könne man nicht in jedem Fall die Vorhaltekosten komplexer Hightech-Medizin mit abrechnen. Der Verband fordert daher, dass die Krankenhäuser bei einem sich ändernden Behandlungsbedarf ihr Leistungsangebot den Bedürfnissen der Patienten anpassen und nicht „einfach nur nach mehr Geld rufen“. Das Problem dürfe nicht bei den Beitragszahlern abgeladen werden. Stattdessen seien die Krankenhäuser und Kassenärztlichen Vereinigungen aufgefordert, gemeinsam nach konstruktiven Lösungen zu suchen. Dazu gehörten nach Ansicht des GKV-Spitzenverbandes deutliche Strukturreformen. Teure, für die gute Versorgung der Patienten nicht benötigte Überkapazitäten müssten abgebaut werden, insbesondere in Ballungsgebieten.

Ein Großteil der Patienten in Notfallaufnahmen könne laut Prof. Axel Heidenreich, Sprecher des BDU-Arbeitskreises Angestellte Ärzte von niedergelassenen Kollegen behandelt werden, sofern fachspezifische Bereitschaftsdienste vorhanden wären. Er appelliert an die Verbände, gemeinsam eine Lösung zu finden. Grundprobleme seien der Ärztemangel sowie steigender Kostendruck. Diese Komponenten führten zu einer Umstrukturierung der Notfalldienste der Kassenärztlichen Vereinigungen, so dass sich in der Folge deutlich längere Anfahrtswege für Bereitschaftsärzte ergäben. Gegenüber dem „Ärztenachrichtendienst“ forderte der Präsident des BDU Dr. Axel Schroeder: „Mit gegenseitigen Schuldzuweisungen ist allerdings niemandem geholfen. Wir brauchen Kooperationen für eine integrierte Notfallversorgung sowie eine bessere finanzielle Ausstattung, und die Politik muss den Mut für eine klare Patientensteuerung aufbringen. Der GKV-Spitzenverband macht es sich zu einfach, wenn er allein Ärzten in Klinik und Niederlassung den schwarzen Peter zuschiebt.“

Niemand fühlt sich so recht für die Situation verantwortlich. Ein weiteres Aufschieben des Problems wird allerdings zu einer Verschärfung der finanziellen und organisatorischen Situation führen. Auch mehr Geld in die Notfallversorgung in Kliniken zu leiten, behandelt nur die Symptome und nicht das Grundproblem, nämlich eine mangelhafte Patientensteuerung. Den Patienten selbst ist nicht vorzuwerfen, sich im Notfall mangels Alternativen an Kliniken zu wenden. Hier ist stattdessen der Gesetzgeber gefragt, Strukturen zu schaffen, die angemessene, bezahlbare ambulante Notfallversorgung ermöglichen.