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Die Gesundheitswirtschaft gehört zu den Branchen mit weit überdurchschnittlichen Ausgaben für For­schung und Entwicklung. In der Pharmaindustrie machen sie 13 Prozent des Umsatzes aus. In der Bio­technologie und in der Medizintechnik werden neun Prozent des Umsatzes für F&E aufgewendet. In den letzten Jahren hat sich das Tempo medizinischer Fortschritte weiter erhöht und dabei bestehende Verfahren verfeinert oder neu hervorgebracht, bspw. die minimal­invasive Chirurgie, die ope­rative Eingriffe ohne größere Schnitte ermöglicht und eine rasche Genesung fördert.

Bekannt ist aber auch, dass die Gesundheitsbranche Wachstums­branche und Kostenfaktor zugleich ist. Innovationen treiben hierbei den medizinischen Fortschritt voran, sind für die Stärkung der Wettbewerbsposition von Unternehmen unverzichtbar und sind letztlich Hoffnungsträger für kranke Menschen. Allerdings machen Kritiker mit Blick auf die Ausgabenentwicklung im Gesundheitswesen den medizinischen Fortschritt noch vor dem demographischen Wandel, den hohen Preisen für Medikamente und den Ärztehonoraren als den Hauptkostentreiber aus.  Doch wie viel Innovation will und kann sich das deutsche Gesundheitssystem leisten?

Ein Beispiel: Aktuell macht ein neues EKG-Gerät, das Informationen schneller und unkomplizierter für die Diagnose und Therapieentscheidung liefert, auf sich aufmerksam. Als das weltweit erste kapazitive EKG-Gerät angekündigt, hat es nun die Zulassung für den europäischen Markt erhalten. Mit dem „c – one“ könne ein EKG innerhalb von 30 Sekunden geschrieben werden, so der Hersteller, die Capical GmbH mit Sitz in Braunschweig. Anders als bisher müssen die Elektroden nicht mehr auf der Haut befestigt und der Patient verkabelt werden. Weder Kontaktgel, -spray, Klebeelektroden oder Sauganlagen werden noch benötigt. Das „c – one“ wird einfach auf den Brustkorb des Patienten aufgelegt und die Messung durchgeführt. In das Gerät wurden 29 Elektroden integriert, die Informationen über die Herzfunktion liefern – dreimal so viele wie beim herkömmlichen EKG.

Bei der Beurteilung von Innovationen lässt sich festhalten, dass der Grenznutzen des medizinischen Fortschritts sinkt. Längst nicht alles, was heute machbar ist, liefert einen wirklichen Nutzen bzw. Zusatznutzen. Während die Erfindung des ersten EKG-Gerätes einen sehr großen Nutzen im Rahmen der kardiologischen Diagnostik hatte, dürfte das nun entwickelte Gerät trotz der ermöglichten Zeitersparnis und der einfachen Bedienbarkeit nicht von einem derartigen Innovationsgrad sein wie das einst entwickelte. Hinzukommt, dass medizinisch an sich sinnvolle Neuerungen übermäßig oder falsch eingesetzt werden, was die rasant gestiegene Nutzung von CT oder MRT Untersuchungen etwa zeigt. Mit Blick auf alle Röntgenuntersuchungen im europäischen Vergleich ist Deutschland mit großem Abstand das Land mit den meisten Untersuchungen. Deutlich werden die Grenzen des medizinischen Fortschritts auch an den gestiegen OP-Zahlen, obwohl einigen bekannte konservative Methoden hier wirksame Alternativen sind.

Innovationen werfen somit nicht nur die Frage nach ihrem Preis auf, sondern auch der Menge, also, ob und wann ihr Einsatz wirklich nötig und nützlich ist. Dabei kann sich durchaus auch zeigen, dass nicht immer die neuste Methode auch die beste sein muss.