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Um die Verweildauer von Patienten im Krankenhaus und damit die Ausgaben im Gesundheitssystem zu senken, führte der Gesetzgeber in Deutschland 2004 die Fallpauschalen ein. Seither werden die Leistungen der Krankenhäuser nicht mehr wie bisher tageweise, sondern pauschal je Krankheit abgerechnet. Damit soll der Anreiz erhöht werden, Patienten möglichst effizient zu behandeln und schneller zu entlassen, denn viele Langlieger gefährden den wirtschaftlichen Erfolg eines Krankenhauses und belasten das Gesundheitssystem. Diese Art der Abrechnung stellt  laut Bundesgesundheitsministerium (BMG) für die Krankenhäuser einen Anreiz dar, ständig an einer Verbesserung der Wirtschaftlichkeit zu arbeiten, die Strukturveränderungen sollen darüber hinaus auch zu einer Erhöhung der Versorgungsqualität führen. Tatsächlich hat sich die durchschnittliche Verweildauer nahezu halbiert: Von 13,3 Tagen im Jahr 1992 sank sie auf 7,5 Tage im Jahr 2013, mit weiter sinkender Tendenz. Hinsichtlich der Qualität ist das Urteil weniger eindeutig.

Die Diskussion um Fallpauschalen wurde jüngst durch eine Schweizer Umfrage wieder angestoßen. In der Schweiz wurde im Jahr 2012 das Fallpauschalensystem eingeführt. Schnell formierte sich Protest gegen die Umstellung, das System habe aus Sicht der Ärzte das angestrebte Ziel nicht erreicht. Die daraus resultierenden finanziellen Interessen der Krankenhäuser beeinflussten das medizinische Fachpersonal demnach stärker als dieses sich für das Wohl der Patienten wünsche. Zu diesem Ergebnis kam eine Umfrage des Instituts für Biomedizinische Ethik und Medizingeschichte der Universität Zürich. Die Befragten nannten konkret verfrühte Entlassungen, die Aufteilung auf zwei Aufenthalte, obwohl einer ausreichend wäre, die bevorzugte Behandlung von Patienten mit lukrativen Fallpauschalen, die Abweisung von Patienten mit weniger lohnenswerten Fallpauschalen sowie Überbehandlungen aus finanziellen Gründen als Fehlentwicklungen. Auch in Deutschland haben Krankenhäuser nach Einführung der Fallpauschale zwei Strategien im ökonomischen Wettbewerb entwickelt: Den Abbau von Pflegepersonal und eine Erhöhung der Patientenzahl bei Krankheiten, die im Fallpauschalen-System eine besonders hohe Gewinnmarge versprechen. In Deutschland erzielen Krankenhäuser über die Fallpauschalen ein Umsatzvolumen von rund 70 Mrd. Euro.

Zwar wurde der Anteil von Langliegern, die überdurchschnittlich lang stationär behandelt werden, signifikant gesenkt, auf die Summe der durchgeführten Operationen hatte das System dagegen keinen Einfluss. Häufig wird sogar der Vorwurf geäußert, dass in Deutschland zu oft operiert werde. Die Eingriffe erfolgten dabei nicht selten weniger aus medizinischen als aus wirtschaftlichen Gründen. Ergebnisse einer Studie der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) untermauern diesen Vorwurf. Demnach werde in kaum einem anderen Land so oft operiert wie in Deutschland. Auf 1.000 Einwohner in Deutschland kommen demnach 240 Klinikaufenthalte. Der OECD-Durchschnitt liegt bei 155 Aufenthalten. Die Organisation rät daher, dass in Zukunft stärker auf den Behandlungserfolg als die Menge geachtet werden soll. Auch die Bertelsmann Stiftung kommt im Faktencheck Gesundheit zu dem Ergebnis, dass große Unterschiede in der Häufigkeit von bestimmten Operationen abhängig von der Region bestehen. So erhalten in wohlhabenden Landkreisen bis zu dreimal mehr Patienten ein künstliches Kniegelenk als in weniger wohlhabenden. Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte der Bertelsmann Stiftung: „Es ist aber offensichtlich, dass nichtmedizinische Faktoren die Versorgung beeinflussen. Ärztliche Leitlinien könnten hier Abhilfe schaffen.“ Es zeigt sich: Viele Krankenhäuser schreiben rote Zahlen. Der Druck, alle Betten, Operationssäle, Ärzte und Geräte auszulasten, wird daher in vielen Häusern groß sein. Das Fallpauschalensystem erscheint in seiner jetzigen Form daher nur bedingt geeignet, die Qualität der Versorgung verbessern. Stattdessen könnte die Implementierung der von der Bertelsmann Stiftung angeregten ärztlichen Leitlinien Wirkung zeigen. Allerdings stellt sich dann die Frage, wie die Vergütung der Krankenhäuser für stationäre Versorgung geregelt werden soll, wenn weniger Operationen zu weniger Einnahmen führen. Angesichts dieser Frage zeigt sich immer mehr, dass neben den Ausgaben für Arzneimitteln die Krankenhausfinanzierung die größte Baustelle des Gesundheitswesens ist. Hier ist in Zukunft noch einiges zu tun, wenn die stationäre Versorgung langfristig finanziell tragbar sein soll.