Inkontinenz ist keine Randerscheinung – fünf bis neun Millionen Menschen in Deutschland sind davon betroffen. Die Dunkelziffer dürfte deutlich höher liegen, denn Inkontinenz ist noch immer ein Tabuthema. Die Betroffenen leiden daher neben den eigentlichen körperlichen Symptomen unter eingeschränkter Mobilität und Schamgefühlen. Nicht selten scheuen sie daher den Weg zum Arzt. Dabei lässt sich Inkontinenz nicht selten behandeln, und selbst wenn nicht muss sich kein Betroffener einfach damit abfinden. Aufsaugende und ableitende Inkontinenzhilfsmittel ermöglichen gesellschaftliche Teilhabe und Mobilität.
Die Produktpalette der Inkontinenzhilfsmittel ist jedoch qualitativ zweigeteilt. Neben modernen Einlagen, Vorlagen und Pants, die bei geringerer Größe sicherer, bequemer und diskreter sind, existieren einfachere, günstige Produkte, die qualitativ nicht annähernd an die teureren Lösungen heranreichen. Diese entsprechen häufig gerade einmal den Mindestqualitätsstandards aus den frühen 1990er Jahren. Kassenpatienten müssen Glück haben, die hochwertigen Produkte von ihrer Kasse vollständig erstattet zu bekommen. Einsparbemühungen der Krankenkassen führen eher dazu, dass Patienten die günstigste Lösung erhalten bei entsprechenden Qualitätseinbußen. Benötigen sie hochwertigere Produkte, müssen sie Aufzahlungen leisten. Im Jahr 2013 gaben die gesetzlichen Krankenkassen für Inkontinenzhilfsmittel rund 464 Mio. Euro aus. 350 Mio. Euro davon entfielen auf aufsaugende Inkontinenzhilfsmittel. Das entspricht rund 0,2 Prozent der Gesamtausgaben der GKV. Um weiter Kosten einzusparen setzen die Kassen bei der Erstattung von Inkontinenzhilfen auf Ausschreibungen und Beitrittsverträge. Rund 18 Prozent der Versorgungen werden über Ausschreibungen finanziert, 75 Prozent über Beitrittsverträge. Nur sieben Prozent der Versorgungen werden nach Festpreisen abgerechnet.
Durch Ausschreibungen und Beitrittsverträge haben Krankenkassen einen großen Einfluss auf die Preise für Hilfsmittel, indem sie entweder den günstigsten Leistungserbringer für die Versorgung der Patienten auswählen oder vertraglich festlegen, diesen eine bestimmte Pauschale je Patient im Monat zu erstatten. Leistungserbringer können diesen Verträgen auch nachträglich noch beitreten, um die Patienten der entsprechenden Kasse beliefern zu dürfen. Zwar sind die Kassen dazu verpflichtet, bei derartigen Verträgen die Produktqualität, die notwendige Beratung der Versicherten sowie sonstige erforderliche Dienstleistungen und eine wohnortnahe Versorgung sicherzustellen, durch immer weiter sinkende Pauschalen wird es für die Leistungserbringer allerdings immer schwieriger, hochwertige Produkte zu liefern.
Dieser Umstand wird unter anderem vom Branchenverband BVMed kritisiert. Er wirft den Kassen vor, sich aus Gründen der Wirtschaftlichkeit an einer Minimalstversorgung zu orientieren, anstatt die Lebensrealität der Patienten in den Blick zu nehmen. Der Verband forderte daher kürzlich im Rahmen seiner Mitgliederversammlung Verbesserung in der Versorgung mit Hilfsmitteln. Die Ausschreibungspraxis der Kassen höhle nicht nur das Sachleistungsprinzip aus, sondern gefährde auch die Versorgungsqualität der Patienten sowie die mittelständische Versorgungsstruktur der Leistungserbringer.
Eine mögliche Alternative, um Kosten einzusparen, könnte es sein, höherwertige Produkte nicht aus der Versorgung auszuklammern. Diese könnten aufgrund der Produkteigenschaften dazu beitragen, dass insgesamt weniger Produkte je Patient benötigt werden. Aktuell benötigen Betroffene pro Tag durchschnittlich 4,1 Inkontinenzhilfsmittel, abhängig vom Schweregrad der Inkontinenz. Durch saugfähigere Hilfsmittel könnte die Zahl deutlich gesenkt werden. Dies würde nicht nur den Kassen, sondern auch den Patienten zugutekommen. Inzwischen zeichnet sich ab, dass das Thema Hilfsmittel von der Politik nicht mehr so stiefmütterlich behandelt wird wie noch vor wenigen Jahren. Auch in der Politik regt sich langsam Widerstand gegen die derzeitige Ausschreibungspraxis. Vor kurzem erst schloss sich der Pflegeberichterstatter der CDU/CSU-Fraktion, Erwin Rüddel, der Meinung des BVMed an. Die Frage ist also nicht, ob der Gesetzgeber aktiv wird, sondern wann.