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Schon seit 2009 gelten Kartellverbot und Missbrauchsaufsicht für das Verhältnis zwischen Kassen und Leistungserbringern (Paragraph 69 Absatz 2 SGB V). Bereits an dieser Stelle nahm der Gesetzgeber Rücksicht auf die besonderen Rahmenbedingungen des Gesundheitsmarktes: Denn die Regelungen sollten nicht anwendbar sein auf Pflichtverträge von Krankenkassen oder deren Verbände mit Leistungserbringern. Zudem sollte der Versorgungsauftrag der gesetzlichen Krankenkassen besonders berücksichtigt werden.

Die Anwendbarkeit kartellrechtlicher Vorschriften über das Verhältnis der Krankenkassen zu den Leistungserbringern wird derzeit auf das Verhältnis der Krankenkassen untereinander und das Verhältnis zu den Versicherten ausgedehnt. Hintergrund der geplanten Ausdehnung des Kartellrechts auf die Krankenkassen ist ein Urteil des Landessozialgerichts Hessen vom 15. September 2011. Nach einer Absprache zwischen verschiedenen Kassen zur Erhebung von Zusatzbeiträgen hatte das Bundeskartellamt ein Verfahren eröffnet, woraufhin das Gericht das Bundeskartellamt jedoch für nicht zuständig erklärt hatte.

Seitdem Anfang des Jahres die Monopolkomission der Bundesregierung ihre Forderung geäußert hatte, das Kartellrecht auch für Kassen geltend zu machen, mehrten sich auf Seiten der Kassenvertreter die Bedenken, dass eine solche Regelung ihren Versorgungsauftrag gefährden könnte. Zuspruch erhielten sie dabei vom Bundesrat, der sich in seiner Sitzung im Mai – wie auch 2007 – gegen die Ausdehnung des Kartellrechts aus dem Wirtschaftsrecht auf die Krankenkassen ausgesprochen hatte.

Nun scheint diese Kritik Früchte zu tragen. Denn im Rahmen der Novellierung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) will die Bundesregierung die Krankenkassen zwar dem Kartellrecht unterstellen, jedoch dies mit einigen Ausnahmen. So heißt es in einer Formulierungshilfe des Gesundheitsministeriums, dass „bei der kartellrechtlichen Beurteilung der Krankenkassen ihr Versorgungsauftrag besonders zu berücksichtigen“ gilt. Der Änderungsantrag soll spätestens Ende dieses Monats im Wirtschafts- und im Gesundheitsausschuss des Bundestages beraten werden. Einem Bericht der „Welt“ zufolge soll das Kartellamt die Kassen künftig zwar stärker beaufsichtigen dürfen, allerdings sollen dann weiterhin Kooperationen einzelner Kassen möglich sein, ohne dass die Behörde eingeschaltet wird. Gleiches gelte für den Gemeinsamen Bundesausschuss von Kassen, Ärzten und Kliniken.

Der nun diskutierte Änderungsantrag kann als Zugeständnis an die Kassen gewertet werden und stärkt den im Sozialgesetzbuch V festgelegten Versorgungsauftrag. Denn die Anpassungen erlauben den Kassen auch weiterhin untereinander zu kooperieren, wie es etwa bei der Bildung von Festbeträgen bei Arzneimitteln der Fall ist. Einschreiten soll das Bundeskartellamt nur, wenn Kassen unternehmerisch handeln, wie es bspw. beim Erheben und der Festlegung der Höhe von Zusatzbeiträgen der Fall sein kann. Auch für die Fusionskontrolle wäre die Bonner Behörde zuständig. Dies dürfte die kleinen Kassen – wie bspw. die BKKen – freuen, die sich von der Wettbewerbsbehörde Unterstützung gegen die zunehmende Marktmacht großer Kassen erhoffen.

Mit Spannung dürfte jedenfalls zu verfolgen sein, wie die beteiligten Gremien bei der Anpassung des Kartellrechts auf das Gesundheitswesen folgende Fragestellungen diskutieren:

  • Sind die Krankenkassen in Deutschland (nun) Unternehmen im Sinne des europäischen Kartellrechts?
  • Welche weiteren Besonderheiten der Sozialgesetzgebung müssen Berücksichtigung finden, um weitere Anpassungen vorzunehmen?
  • Ist ferner der nationale Gesetzgeber befugt, die Geltung des Kartellrechts dort zu anzupassen, wo das europäische Kartellrecht nicht gilt?

Es kann davon ausgegangen werden, dass sich hierbei neue Streitpunkte abzeichnen und die Diskussionen um die genauen Grenzen des Kartellrechts zwischen den verschiedenen Akteuren des Gesundheitswesens eine Fortsetzung finden.