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Ein amerikanisches Wissenschaftler-Team um die Epidemiologin Dr. Rachel Baker von der Princeton University im Bundesstaat New Jersey hat mit Hilfe von zwei Simulationsstudien herausgefunden, dass angeblich Kontaktbeschränkungen und Hygieneregeln sowie das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes in der Corona-Pandemie dazu führen, dass nach Aufhebung der Maßnahmen Menschen infektionsanfälliger für andere übertragbare Krankheiten werden. Zwei saisonale Erreger – das Influenza-Virus-A (IAV) und das Respiratorische Synzytial-Virus (RSV) – brachte in Simulationen die Forscher zu dieser Annahme. Deutsche Experten bewerten dies als problematisch, spekulativ und halten es für interpretationsfähig bzw. missverständlich. Die zur Zeit geltenden kurzweiligen, corona-bedingten AHA-Regeln schützen vor einer Ansteckung mit dem SARS-CoV-2-Virus und führen zu einem Rückgang der Fallzahlen auch anderer respiratorischer Krankheitserreger. Auf der Südhalbkugel war deshalb nach Ende des dortigen Winters ein Tiefstand an Grippeerkrankungen zu verzeichnen. Baker und ihr Team behaupten allerdings, dass die derzeit kurzzeitig geltenden Maßnahmen einen Anstieg von bestimmten Infektionen mit zeitlicher Verzögerung – im Winter 2021/22 – bedeuten. Virologin Professor Dr. Gülsah Gabriel, die am Heinrich-Pette-Institut in Hamburg anderen Forschungsarbeiten nachgeht, betont, dass diese Aussagen problematisch sind, da die Vielfalt der Viren von Winter zu Winter variabel ist und auch eine unterschiedliche Wirksamkeit vorhandener Impfstoffe gegeben ist. Außerdem sind Grippeviren dafür bekannt, dass sie rasch mutieren, sich also wandeln und anpassungsfähig sind. Professor Dr. Bernd Salzweger als Infektiologe am Universitätsklinikum in Regensburg sieht das ähnlich. Seiner Meinung nach lassen sich keine mathematischen Modelle anwenden, um beispielsweise die Dynamik von Grippewellen zu bestimmen. Eine jahrelange Abstinenz von bestimmten Krankheitserregern sei daher sicherlich als problematisch einzuschätzen, aber nicht die kurzweilige Anwendung der Corona-Regeln. Gabriel weist zusätzlich darauf hin, dass das Tragen eines Mund-Nasen-Schutzes das Risiko für Koinfektionen senkt, das heißt, dass sich Menschen mit zwei Krankheitserregern gleichzeitig anstecken könnten, was besonders für vulnerable Gruppen in unserer Gesellschaft gefährlich werden kann. Daher rät die Fachfrau im kommenden Winter unbedingt zu Grippeschutzimpfungen. 

Quelle: Pharmazeutische Zeitung