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Fragt man Menschen, wie sie im Alter leben wollen, lautet die Mehrheit der Antworten: In den eigenen vier Wänden. Ambulante Pflegedienste und pflegende Angehörige ermöglichen es, so lange wie möglich zuhause zu leben. Doch die Gesellschaft wandelt sich. Die hohe Anzahl von Singlehaushalten oder Paaren ohne Kinder lassen ahnen, dass nicht jeder, der heute jung ist, in einigen Jahrzehnten in der Familie versorgt werden kann. Auch schwere Erkrankungen können den Umzug in ein Pflegeheim notwendig machen. Das Problem: Nach derzeitigen Prognosen wird es nicht genug Pflegeheimplätze geben, sofern heute nicht mehr in den Ausbau der stationären Pflege investiert wird.

Immer mehr Menschen werden ambulant versorgt

Der „Pflegeheim Rating Report 2015“ des Rheinisch-Westfälischen Instituts für Wirtschaftsforschung (RWI), der hcb GmbH und der Philips GmbH ist besorgniserregend. Die Untersuchung der derzeitigen und zukünftigen Situation des deutschen Pflegemarkts kommt zu dem Schluss, dass es den meisten deutschen Pflegeheimen momentan zwar wirtschaftlich gut gehe, in den nächsten Jahren allerdings aufgrund der zunehmenden Alterung der Gesellschaft Engpässe bei stationären Pflegeplätzen und Personal auftreten könne. Dem könne aber noch entgegengewirkt werden. Der Report schlägt dafür Maßnahmen vor.

2013 hätten sich die meisten deutschen Pflegeheime in einer guten Wirtschaftlichen Lage befunden, lediglich sieben Prozent der Einrichtungen zeigten eine erhöhte Insolvenzgefahr, während 72 Prozent im „grünen Bereich“ mit geringer Insolvenzgefahr gelegen hätten. Die durchschnittliche Ausfallwahrscheinlichkeit habe mit 0,9 Prozent deutlich niedriger als die von Krankenhäusern und Rehakliniken gelegen. Pflegeheime im Osten Deutschlands sowie in Nordrhein-Westfalen hätten dabei die beste wirtschaftliche Lage aufgewiesen, Einrichtungen in Schleswig-Holstein, Hamburg, Bayern, Rheinland-Pfalz, dem Saarland, Niedersachsen und Bremen hätten deutlich schlechter abgeschnitten. Insgesamt seien große Heime finanziell besser aufgestellt gewesen als kleine Heime.

Für den Report, der im Rhythmus von zwei Jahren erscheint, wurden 469 Jahresabschlüsse ausgewertet, die insgesamt 2.252 Pflegeheime umfassen. Darüber hinaus berücksichtigt der Report amtliche Daten des Statistischen Bundesamts von allen knapp 13.000 Pflegeheimen, 12,700 ambulanten Diensten und den derzeit rund 2,6 Mio. Pflegebedürftigen.

Es zeigte sich, dass immer mehr Menschen ambulant versorgt werden. Im Jahr 2013 sei der Anteil der Pflegebedürftigen in dieser Versorgungsform auf 24,3 Prozent gestiegen, so das RWI. Davon sollte man sich allerdings nicht täuschen lassen: Dies bedeutet nicht, dass weniger Heimplätze benötigt werden, denn die Zahl der Pflegebedürftigen steigt weiter stark an. Im Jahr 2030 werden laut Schätzungen rund 3,5 Mio. Menschen auf Pflege angewiesen sein. Ein weiterer Ausbau der stationären Pflege ist daher unabdingbar, soll es nicht zu Engpässen kommen. Auch dem Fachkräftemangel muss mit Investitionen entgegengewirkt werden. Diese beziffert das Institut mit rund 80 Mrd. Euro.

Mehr Heime, mehr Pflegekräfte – Aber wie?

Die Zahl der Pflegeheime habe in 2013 zwar einen Höchstwert erreicht, gleichzeitig sei aber auch die Auslastung gestiegen. Schon jetzt würden, besonders in städtischen Regionen, neue Heime gebaut oder erweitert. Um den Bedarf langfristig zu decken müsse sich der Zuwachs aber weiter erhöhen. Dafür werde insbesondere privates Kapital benötigt, die Politik könnte ihren Teil beitragen, indem sie Heimgesetze verschlankt und bessere Rahmenbedingungen für private Investitionen schafft.

Viele neue Pflegeheime nützen allerdings nichts, wenn nicht auch genügend Pflegeheimkräfte vorhanden sind, die die Bewohner versorgen. Schon jetzt ist die Personaldecke in den meisten Heimen dünn, in den kommenden Jahren könnte sich das weiter verschärfen, was nicht nur auf die Pflegebedürftigen Auswirkungen hätte, sondern auch auf die Arbeitsbelastung der Pfleger. Wie also mehr Pflegekräfte rekrutieren? Auch hier hat das RWI Vorschläge parat. Um die Attraktivität des Pflegeberufes zu erhöhen, müssten die Löhne von qualifiziertem Personal gegenüber Hilfskräften deutlich steigen. Gleichzeitig müsse die Vollzeitquote erhöht werden. Vor allem dies dürfte im Sinne der Pflegekräfte sein. Laut einer Studie des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung der Bundesagentur für Arbeit (IAB) liegt die Teilzeitquote in der Pflege bei bis zu 50 Prozent. Die Gründe lägen sowohl in familiären und persönlichen Verpflichtungen, in vielen Fällen sei der Grund aber auch sehr profan: Es lässt sich einfach keine Vollzeitstelle finden. Könnten die Pfleger, die gerne in Vollzeit arbeiten möchten, dies auch tun, wäre dies ein erster Schritt in die richtige Richtung.

Das Picker Institut wies im Herbst dieses Jahres in einem Report aber darauf hin, dass ein reines Aufstocken von Stellen nichts bringt, wenn nicht gleichzeitig auch die Arbeitsbedingungen verbessert werden. Das zeigt: Um langfristig mehr Menschen für die Arbeit in der Pflege zu begeistern, müssen die Arbeitsbedingungen auf die politische Agenda. Das bisherige Berufsverständnis als Tätigkeit mit niedrigem Ansehen muss langfristig ein Auslaufmodell werden. Dazu trägt die zunehmende Akademisierung bereits einen Teil bei.